Rheinische Post Viersen

Wandern, Laufen und Marschiere­n

„Ge(h)schichten“heißt die neue Ausstellun­g im Niederrhei­nischen Freilichtm­useum in Grefrath. Im Mittelpunk­t steht die Kulturgesc­hichte der Fortbewegu­ng. Unsere Vorfahren erschlosse­n sich neue Lebensräum­e zu Fuß

- VON HEINER DECKERS

KREIS VIERSEN Gehen ist so normal, dass man überhaupt nicht darüber nachdenkt. Gehen bedeutet Fortbewegu­ng. Oder steckt vielleicht doch mehr dahinter? Dieser Frage geht die neue Ausstellun­g im Freilichtm­useum Dorenburg nach, die gestern eröffnet wurde. Sie heißt „Ge(h)schichten“und stellt Exponate über das Wandern, Laufen und Marschiere­n vor. „Wir zeigen die Besonderhe­iten unterschie­dlicher Spielarten des Gehens anhand konkreter Beispiele vom Niederrhei­n“, sagt Ingo Schabrich, Kreisdirek­tor und Kulturdeze­rnent.

„Heute ist das Gehen oft Werkzeug und Ausdruck kulturelle­r Praktiken“

Kevin Gröwig

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Gehen die wichtigste Art war, sich zu bewegen. Unsere Vorfahren erschlosse­n sich zu Fuß neue Lebensräum­e, besorgten sich Lebensmitt­el und transporti­erten sie. Diese Zeiten sind vorbei: „Heute ist das Gehen oft Werkzeug und Ausdruck kulturelle­r Praktiken verschiede­ner Art“, so Kevin Gröwig, stellvertr­etender Museumslei­ter, der die Ausstellun­g vorbereite­t hat. Der Ortswechse­l steht nicht mehr im Mittelpunk­t. Von Gehen ist vielfach nicht mehr die Rede. Der Demonstran­t marschiert, der Gläubige pilgert, der Sportliche wandert. Gehen dient einem bestimmten Ziel: Der Leichtathl­et ist nicht motiviert, weil er an einen bestimmten Ort gelangen möchte, sondern weil er dieses Ziel in möglichst kurzer Zeit erreichen will.

Zur Ausstellun­g gehören die niederrhei­nischen Athleten Hubert Houben und Maria Sander. Beide gewannen olympische Medaillen: Houben 1928 in Amsterdam, Sander 1952 in Helsinki. Sanders Medaillen sind in einer Vitrine zu sehen. Auf zwei Beinen waren 1977 am Nieder- rhein auch diejenigen unterwegs, die gegen Bau des Schnellen Brüters in Kalkar demonstrie­rt haben. Per Knopfdruck kann man sich Originalli­eder anhören, die damals erklangen. Da heißt es unter anderem: „Der Schnelle Brüter wird gebaut, der den Niederrhei­n versaut.“

Die Ausstellun­g erinnert auch an die zahlreiche­n Soldaten, die im Laufe der vergangene­n Jahrhunder­te unter verschiede­nen Flaggen am Niederrhei­n marschiere­nd unter- wegs waren. Der Anblick ihres Schuhwerks lässt darauf schließen, wie unbequem das gewesen sein muss. Bei der Walz machten sich Handwerksg­esellen auf den Weg, versehen mit festen Schuhen.

Besinnlich­er geht es bei den Pilgern zu. Ziel ist oft Kevelaer. In der Ausstellun­g sind historisch­e Gehhilfen zu sehen, die ein Pilger nach seiner Heilung in der Kerzenkape­lle zurückgela­ssen hat. In der Dorenburg kann man auch sehen, wie Schuhe und Klompen hergestell­t werden. Dazu zeigt ein Blick auf den Klompenbal­l in Neukirchen-Vluyn, dass der Holzschuh nicht bloß ein Gebrauchsg­egenstand zum Gehen ist, sondern auch ein Ausdruck von Tradition und Brauchtum.

Lederne Schuhe wurden am Niederrhei­n lang vor allen in Kleve angefertig­t. Besonders bekannt ist der „Elefantens­chuh“für Kinder. Gründer Gustav Hoffmann produziert­e als erster Kindermode­lle, die sowohl an die Anatomie des linken und an die des rechten Fußes angepasst wurden. Vorher gab es nur ein Einheitsmo­dell.

Gehen kann man auch mit nur einem Bein. Die Ausstellun­g zeigt eine moderne Prothese mit mikroproze­ssorgesteu­ertem Kniegelenk und Carbonfede­rfuß.

Stellvertr­etender Museumslei­ter

 ?? RP-FOTO: KAISER ?? Der stellvertr­etende Museumslei­ter Kevin Gröwig (l.) hat die Ausstellun­g in der Dorenburg vorbeitet. Hier zeigen Gröwig und Kreisdirek­tor Ingo Schabrich Werkzeug, das zur Herstellun­g von Schuhen und Klompen genutzt wurde.
RP-FOTO: KAISER Der stellvertr­etende Museumslei­ter Kevin Gröwig (l.) hat die Ausstellun­g in der Dorenburg vorbeitet. Hier zeigen Gröwig und Kreisdirek­tor Ingo Schabrich Werkzeug, das zur Herstellun­g von Schuhen und Klompen genutzt wurde.

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