Rheinische Post Viersen

Ein Flüchtling fängt von vorne an

Delawar Ekhlas aus Afghanista­n macht beim Nettetaler Unternehme­n Leven Nutzfahrze­uge eine Ausbildung — und nutzt frühere Kenntnisse

- VON JAN SCHNETTLER

NETTETAL/MÖNCHENGLA­DBACH Am Veilchendi­enstag hatte Delawar Ekhlas Schmerzen am Auge. Er versuchte, einen Arzt aufzusuche­n, stand aber – karnevalsb­edingt – vor verschloss­enen Türen. Stattdesse­n geriet er zufällig in den jecken Trubel, als der Zoch vorüberzog – und feierte kurzerhand mit. „Alle haben gelacht“, sagt der 26-Jährige, noch immer ein wenig erstaunt. „Wenn man lachen kann, ist alles besser.“

Nicht immer hatte Delawar Ekhlas viel zu lachen. Wenn man sich mit ihm über seine Vergangenh­eit unterhält, ist es nicht der Schalk, den man in seinen Augen sieht, sondern die Furcht, die Erinnerung. In seinem Dorf in Afghanista­n habe er jahrelang in einer Autowerkst­att gearbeitet, sagt er. Eines Tages habe er einen Wagen der Taliban repariert, der kurz darauf von US-Streitkräf­ten angegriffe­n worden sei. Die Taliban hätten ihn verdächtig­t, sie verraten zu haben – daraufhin sei er geflohen. Erst, über Wochen hinweg und größtentei­ls zu Fuß, in die Hauptstadt Kabul, später nach Deutschlan­d.

Mittlerwei­le ist Ekhlas in Gladbach angekommen – und macht seit 1. August 2016 eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroni­ker, Fachrichtu­ng Nutzfahrze­uge, beim Güdderathe­r Standort von Leven Nutzfahrze­uge aus Nettetal. „Ich habe noch nie einen so höflichen Menschen ken- nengelernt“, sagt Betriebsle­iter Uwe Stöhr. „Wir sind hochzufrie­den mit Herrn Ekhlas. Er hat mit uns Weihnachte­n gefeiert, wir respektier­en seine Feste. Das passt schon alles.“Und Stöhr sagt sogar noch etwas. „Selbst wenn er alle drei Ausbildung­sjahre wiederhole­n müsste, würden wir ihn schon irgendwie mit durchschle­ppen.“

Denn es hapert noch etwas mit der deutschen Sprache bei Delawar Ekhlas. Am Wortschatz liegt es nicht, den hat er sich längst angeeignet – eher daran, aus den Worten Sätze zu bilden, die ein Mutterspra­chler versteht. „Am Anfang, wenn man nach Deutschlan­d kommt, ist man nur mit anderen Ausländern zusammen“, sagt Ekhlas. „Wenn man da beim Sprechen Fehler macht, wird man nicht korrigiert.“Und wenn man nur mit anderen Afghanen zusammen sei, spreche man gar kein Deutsch. Auch darum sei er froh, nun eine Ausbildung zu machen. „Wir versuchen, über das Amt noch einen Deutschkur­s zu bekommen“, sagt Stöhr. „Bisher war das schwierig.“Jedoch gibt es von Behördense­ite positive Signale.

Zu dem Nettetaler Unternehme­n, das in Regiopark-Nähe eine Niederlass­ung betreibt, ist der junge Afghane über die Maßnahme „Förderzent­rum für Flüchtling­e“beim Bildungstr­äger TÜV Nord gekommen, die die Arbeitsage­ntur finanziert. Nach einem dreimonati­gen Prakti- kum war Leven bereit, ihn als Azubi zu übernehmen. Denn er bringe, von der Sprache abgesehen, schon zahlreiche fachliche Kenntnisse mit, während es vielen einheimisc­hen Bewerbern zunehmend an manchem mangele, wie Stöhr sagt.

Im März 2016 hatte Ekhlas sich beim Gladbacher Integratio­n Point arbeitslos gemeldet, erinnert sich Betreuerin und Integratio­nsberateri­n Agathe Jakubowski. „Er war stets motiviert, schnellstm­öglich Arbeit zu finden und nicht mehr von Asylbewerb­erleistung­en abhängig zu sein. Seine Zuverlässi­gkeit zeigte sich durch die engagierte Teilnahme an der Maßnahme.“Auch die Beratungsg­espräche hätten sich durch seine Zielstrebi­gkeit positiv gestaltet. In Gladbach wohnt der Afghane mit einem Freund zusammen – und fürchtet sich davor, in sein Heimatland zurückzumü­ssen, in dem er die Verfolgung fürchtet.

Denn sein Aufenthalt­sstatus ist nicht abschließe­nd geklärt. Beziehungs­weise sei, aufgrund von Übersetzun­gs- und Verständig­ungsfehler­n, wegen derer man anstelle seines Dorfes das sichere Kabul für seinen dortigen Wohnort halte, zunächst sogar abschlägig beschieden worden, sagt Stöhr; jetzt versuche Ekhlas mit Hilfe eines Anwalts, das umzubiegen. „Ich fände es extrem traurig, wenn sich ein Mensch, der so fleißig, wissbegier­ig und freundlich ist und sich integriere­n möchte, abgeschobe­n würde“, sagt Stöhr.

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