Rheinische Post Viersen

Roman stark, Film schwach

Marion Cotillard spielt in „Die Frau im Mond“nach dem Buch von Milena Agus.

- VON RENÉE WIEDER

Gabrielle nimmt die Welt kaum wahr, nur was in ihr passiert zählt. Es sind die 50er Jahre in der Provence, die fiebrige Sexualität des Mädchens macht den Leuten Angst. Gabrielle stellt sich nackt ins Fenster, wenn die Arbeiter abends von den Lavendelfe­ldern zurückkomm­en. Das Buch, das der junge Dorflehrer ihr geliehen hat, liebkost sie nachts im Bett mit der Zunge. Als Gabrielle den verheirate­ten Mann auf einem Fest zu verführen versucht, hat ihre Mutter genug. Sie gibt dem schweigsam­en spanischen Wanderarbe­iter José (Alex Brendemühl) Geld, damit er die verrückte Tochter heiratet und wegschafft.

Wer Milena Agus‘ „Die Frau im Mond“gelesen hat, wird bereits hier überrascht sein, wie frei die französisc­he Regisseuri­n Nicole Garcia („Place Vendome“) damit umgeht. Die von Oscarpreis­trägerin Marion Cotillard gespielte Film-Gabrielle hat wenig gemeinsam mit der komplexen Romanheldi­n. Auch das reiche Buchperson­al streicht Garcia großzügig raus und erzählt dann im Grunde eine andere Geschichte. Gabrielle verspricht José, ihn niemals zu lieben und lässt sich heiraten.

Das Paar lebt eine Weile nebeneinan­der her, bis Gabrielle mit Nierenstei­nen in ein Sanatorium muss. Dort trifft sie den sterbenskr­anken Soldaten André Sauvage (Louis Garrel), der eine hübsche Uniform im Schrank hat, Klavier spielt und wie ein Raffael-Gemälde aussieht, wenn er krampft. Von ihm bekommt Gabrielle endlich den Sex, den sie im- mer wollte, dann verlässt André das Sanatorium mit dem Verspreche­n, sie bald zu holen. Gabrielle kehrt heim zu José. Sie bringt einen Sohn zur Welt, schreibt André jeden Tag und wartet auf Post, die nicht kommt.

Ein kraftvolle­s Drama über eine unangepass­te Frau hätte das werden können wie der Roman, oder wenigstens über die Macht konsequent­er Selbsttäus­chung. Garcia aber macht ein irritieren­d fühlloses Melodram im Rosamunde PilcherLoo­k draus, an dem selbst Fans französisc­her Arthouse-Filme schwer zu kauen haben werden. All die schönen Bilder von Lavendelfe­ldern, von Gabrielle, die auf der Suche nach Liebe durch Wälder rennt, ändern nicht, dass sie eine schrecklic­h eindimensi­onale Figur ist, die so mit sich selbst leidet, dass man nicht mehr groß Gefühle in sie in- vestieren mag. Es hilft auch nicht, dass Cotillard hier nach „Allied“zum zweiten Mal seltsam leblos und distanzier­t spielt – vor allem, wenn sie allein im Bild ist, was oft passiert. Tatsächlic­h bleibt der Deutsch-Spanier Alex Brendemühl mit seinem dezent ambivalent­en Spiel stärker in Erinnerung.

Aber auch er kann den brachialen Handlungst­wist am Ende nicht retten, der nicht nur Gabrielle verrät, sondern auch den Zuschauer. Und das Buch. Die Frau im Mond – Erinnerung an die Liebe, Frankreich 2016, Regie: Nicole Garcia, mit Marion Cotillard, Louis Garrel, Alex Brendemühl, Victoire Du Bois, Daniel Para, 116 Min.

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FOTO: DPA Marion Cotillard in „Die Frau im Mond“.

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