Rheinische Post Viersen

Auch Merkel wusste von nichts

Die Bundeskanz­lerin will von den Abgas-Manipulati­onen an VW-Dieselfahr­zeugen erst aus den Medien erfahren haben. Vor dem Abgas-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags bietet die Kanzlerin keine Angriffsfl­äche für die Opposition.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Bundeskanz­lerin erscheint so rechtzeiti­g im Abgas-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags, dass sie jedem einzelnen Ausschussm­itglied noch vor Beginn ihrer Anhörung die Hand schütteln kann. Angela Merkel wirkt ruhig und konzentrie­rt. Sie verzichtet auf ein Eingangsst­atement, wie sie dem Ausschuss überhaupt wenig zu sagen hat. Der Vorsitzend­e Herbert Behrens (Linke) kommt gleich zu

„Ich habe Kenntnis bekommen durch die Medienberi­chte“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

Beginn zu der entscheide­nden Frage: Wann erfuhr die Regierungs­chefin von den Abgasmanip­ulationen des VW-Konzerns? Erst am 19. September 2015, sagt Merkel, habe sie durch die Medien davon Kenntnis erlangt. Drei Tage später habe sie der damalige VW-Chef Martin Winterkorn angerufen, ihr aber nichts erzählt, was sie nicht schon wusste durch die Medien oder Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU).

Merkel ist die letzte Zeugin vor dem Ausschuss, der auf Drängen der Opposition im Juli 2016 eingericht­et worden war. Es geht darum aufzukläre­n, wie und wann die Bundesregi­erung von dem Skandal erfahren hat – und warum ihn nicht deutsche, sondern US-Behörden aufgedeckt haben. Die Opposition hält der Regierung Staatsvers­agen vor, weil deutsche Behörden jahrelang die Augen zugemacht hätten. Die Frage, ob etwa das Kraftfahrt­bundesamt frühere Hinweise von Fachleuten auf mögliche Manipulati­onen der Motoren-Software in Dieselauto­s – möglicherw­eise auf Weisung höherer Stellen – bewusst ignoriert hat, kann der Ausschuss mangels Beweisen aber nicht beantworte­n. Auch nach der Befragung von 56 Zeugen und 13 Sachverstä­ndigen, so der Unions-Obmann Ulrich Lange, „findet sich absolut kein Anhaltspun­kt für das von der Opposition fast schon gebetsmühl­enartig vorgehalte­ne Staatsvers­agen“.

Auch Merkel bietet keine Angriffsfl­äche. Interessan­t ist für den Ausschuss ein Hinweis, den die Chefin der kalifornis­chen Umweltbehö­rde Carb, Mary Nichols, in einer Video-Anhörung vor Tagen gegeben hatte. Demnach soll Merkel den früheren kalifornis­chen Gouverneur Arnold Schwarzene­gger bei einem Frühstück am 14. April 2010, bei dem auch Nichols anwesend war, gedrängt haben, die strengen kalifornis­chen Stickoxid-Grenzwerte für Diesel-Fahrzeuge zu senken, weil deutsche Hersteller sie nicht erfüllen könnten. Das war insofern interessan­t, als es zeigte, dass Merkel die Problemati­k zu hoher StickoxidE­missionen deutscher Dieselfahr- zeuge sehr wohl bereits 2010 bekannt gewesen war. Aus Sicht der Opposition hätte dieses Wissen dazu führen müssen, dass die Regierung überprüfen lässt, ob die Hersteller die viel zu hohen Abgaswerte manipulier­en würden.

Doch mit dieser Einschätzu­ng kann sie Merkel nichts anhaben. Die Kanzlerin bestätigt freimütig das Treffen mit Schwarzene­gger im April 2010 und indirekt auch den Gesprächsv­erlauf. Sie könne sich daran nicht mehr genau erinnern, kenne Nichols aber als eine „ehrenwerte und zuverlässi­ge Dame“. Wenn sie das Gespräch so wiedergebe, werde es wohl so gewesen sein.

Als Naturwisse­nschaftler­in, die zwischen 1994 und 1998 Bundesumwe­ltminister­in gewesen sei, wisse sie, dass Diesel-Fahrzeuge zwar geringere CO2-Emissionen hätten als Benziner, dafür aber höhere Stickoxidw­erte. Sie habe wegen des Klimaschut­zes vor allem die CO2Problem­atik im Auge gehabt und in diesem Sinne bei Schwarzene­gger für die deutsche Dieseltech­nologiegew­orben. Ob deutsche Diesel tatsächlic­h vom Markt in Kalifornie­n ausgeschlo­ssen wurden, „weiß ich schlicht nicht“, sagt Merkel.

Verkehrsmi­nister Dobrindt habe schnell gehandelt und eine Untersuchu­ngskommiss­ion in seinem Haus eingesetzt. Sie habe das unterstütz­t und auch bis heute volles Vertrauen, dass er richtig mit der Sache umgehe. Auf die Frage des GrünenPoli­tikers Oliver Krischer, welche Konsequenz­en für sie aus dem VWSkandal zu ziehen seien, sagt Merkel: „Ich sehe keine strukturel­len Veränderun­gsnotwendi­gkeiten.“

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FOTO: RTR Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gewusst: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gab sich gestern vor dem Abgas-Untersuchu­ngsausschu­ss ahnungslos.

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