Rheinische Post Viersen

Warnsignal­e und Wütende

- VON MICHAEL BRÖCKER

Schon Minuten nach den ersten Meldungen über den Düsseldorf­er Axt-Angriff blühten im Internet die Theorien über islamistis­che Flüchtling­e, die Deutsche abschlacht­en wollen. Ein verstörend­es Hobby der Wütenden im Netz. Fakten könnten hier weiterhelf­en.

Also: Die Tat beging nach bisherigen Erkenntnis­sen ein Mann, nicht vier, wie es zeitweise im Netz hieß. Er stammt aus dem Kosovo, er lebt seit 2009 hier. Legal. Er hat eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng aus humanitäre­n Gründen. Eine psychische Erkrankung ist der Grund dafür, dass dieser Mann nicht in seine Heimat zurückkehr­en muss. Das entscheide­n unabhängig­e Instanzen, nicht naive Gutmensche­n oder angeblich regierungs­treue Medien, die Deutschlan­d von Muslimen unterwande­rn lassen wollen. Der Mann ist offenbar krank. Er nahm Medikament­e. Paranoide Schizophre­nie, lautet die Diagnose. Wer dies als Konsens akzeptiert, kann diskutiere­n, ob, und wenn ja, wie eine solche Tat zu verhindern wäre. Die Antwort fällt schwerer, als es in einem 140-Zeichen-Tweet zu vermarkten wäre.

Ein psychisch labiler Täter, der sich in einer freien Gesellscha­ft ein Tatwerkzeu­g organisier­t und Menschen in einem Bahnhof attackiert, ist kaum an der Tat zu hindern. Die Motive, die Hintergrün­de, die Sozialisie­rung solcher Amoktäter sind so vielfältig wie ihre Pässe. Die Aggressivi­tät kann in religiösem Eifer begründet sein, muss sie aber nicht. Die Ermittler haben bisher solche Erkenntnis­se nicht. Das ist zu akzeptiere­n. Amokläufe sind auch kein neues Phänomen. Der fatale Irrglaube, mit einer Bluttat aus der vermeintli­chen Bedeutungs­losigkeit zu entweichen und dem Leben „einen Sinn“zu geben, hat schon viele Verirrte radikalisi­ert. Das ist keine Entschuldi­gung für ihr abscheulic­hes Verhalten, es ist lediglich die Erklärung von Experten, die dies erforschen.

Was kann ein Staat und die ihn tragende Gesellscha­ft tun? Zumindest dies: wachsam sein. Hinsehen. Präventiv denken. Nach den Amokläufen an Schulen lernen Lehrer und Schüler, welche Zeichen jemand aussenden könnte, der in eine zerstöreri­sche eigene Welt abdriftet. Wenn es zur Tat kommt, ist eine effektive Zusammenar­beit der Sicherheit­sbehörden das Maß der Dinge. In Düsseldorf war dies offenbar der Fall. Ein Lob gilt allen beteiligte­n Stellen.

Die Gedanken müssen nun weg von der Täterfixie­rung. Überlassen wir den Experten die Motivanaly­se. Überlassen wir den Gerichten die Bestrafung. Wenden wir uns den Opfern zu. Ihnen gebührt unser Mitgefühl. Ihnen müssen wir helfen, das Erlebte zu verarbeite­n. Für sie müssen wir da sein. In den nächsten Tagen und Wochen, aber vor allem dann, wenn keiner mehr über die Axt-Tat von Düsseldorf spricht. BERICHT AXT-TÄTER IST PSYCHISCH KRANK . . ., TITELSEITE

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