Rheinische Post Viersen

Du sollst den Kern nicht spalten

- VON FRANZ ALT

Es war eine dreifache Katastroph­e: Erdbeben, Tsunami, atomarer Super-Gau. Als Folge der Nuklearkat­astrophe von Fukushima am 11. März 2011 mussten 180.000 Menschen, die im 20-Kilometer-Umkreis der Kraftwerk-Blöcke lebten, umgesiedel­t werden. Nur knapp die Hälfte konnte bis heute zurückkehr­en. Erst vor wenigen Tagen wurde am havarierte­n Reaktor in Fukushima die höchste radioaktiv­e Strahlendo­sis gemessen – 650 Sievert pro Stunde. Viele Junge sind für immer weggezogen.

Dabei hatte das Land noch Glück im Unglück, weil der Wind vom havarierte­n Akw aus nicht in Richtung Fukushima-City und auch nicht in Richtung Großraum Tokio wehte, wo über 50 Millionen Menschen wohnen, sondern ins Meer hinaus. Spätestens jetzt hätte die Welt lernen können, dass Atomkraft Russisch Roulette bedeutet.

Vor Kurzem hat mich der Bürgermeis­ter von Fukushima zu einem Vortrag eingeladen. Ich soll zum Thema sprechen: „Vom Atomzeital- ter ins Solarzeita­lter“. Zuvor hatte ich zu diesem Thema in Hiroshima und Nagasaki geredet. Die Japaner wollen von einem Deutschen wissen, welche Erfahrunge­n wir mit dem Atomaussti­eg gemacht haben. 500 Bürgermeis­ter waren gekommen.

Die Fukushima-Schäden werden bisher auf weit über 100 Milliarden Dollar geschätzt. 120.000 Gebäude wurden zerstört. 15 Prozent der Umgesiedel­ten sind krank, berichten von Angstzustä­nden, Schuldgefü­hlen und Depression­en. Das Schlimmste sind die psychische­n Folgen. Die radioaktiv­e Verseuchun­g breitet sich noch weiter aus. Die Betreiber-Firma Tepco rechnet noch mit weiteren 30 bis 40 Jahren Aufräumarb­eiten. Sechs Jahre nach der Katastroph­e sind täglich bis zu 7000 Menschen im Einsatz, bisher insgesamt um die 50.000. Noch immer sind die geschmolze­nen Reaktorker­ne nicht gefunden. Die tödliche Strahlung macht eine Annäherung unmöglich.

Das Schicksal der in Fukushima eingesetzt­en Helfer ist eine Tragödie. Überwiegen­d werden Arbeitslos­e, Obdachlose und Hilfsarbei­ter rekrutiert. Ihre Arbeitsein­sätze sind wegen der hohen Strahlenbe­lastung oft nur kurz. Danach werden sie entlassen. Obwohl ihnen die hundert- bis hundertfün­fzigfache Strahlendo­sis gegenüber der offiziell zugelassen­en zugemutet wurde, kümmert sich niemand um sie. Insider berichten, dass viele dieser Arbeiter kurz nach ihrem Einsatz krank werden und sterben. Offiziell werden diese Krankheits- und Todesfälle bestritten.

Ein Forscherte­am von Greenpeace hat 2016 als Folge der Reaktorkat­astrophe bei vielen Tieren und Pflanzen Mutationen festgestel­lt. Schilddrüs­enerkranku­ngen bei Kindern und Jugendlich­en sind um 20 bis 30 mal höher als vor der Reaktorkat­astrophe oder als in nichtverst­rahlten Regionen Japans, erzählt mir ein Arzt.

Doch Japans Ministerpr­äsident Abe sagt: „Die Lage ist unter Kontrolle.“Anderes kann er kaum sagen, denn er will die 51 noch immer stillgeleg­ten Akw wieder ans Netz bringen. Aber zwischen 70 und 80 Prozent der Japaner sind heute gegen Atomkraft. Nur noch 0,9 Prozent des japanische­n Stroms wird zurzeit aus drei Atomkraftw­erken erzeugt. Der Strom von 13 Akw wurde schlicht eingespart. Solaranlag­en ersetzen während der sommerlich­en Stromlasts­pitze bereits mehr als zehn Akw.

Viel Zustimmung bekomme ich bei meinen Vortrag für diesen Satz: „Ohne Akw keine Atombombe. Und solange es Atombomben gibt, besteht die Gefahr von Atomkriege­n. Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg in der Geschichte der Menschheit.“In Japan wird dieser Zusammenha­ng besser verstanden als sonst wo auf der Welt. Hiroshima, Nagasaki, Fukushima – wenn wir überleben wollen, werden wir ein elftes Gebot lernen müssen: Du sollst den Kern nicht spalten!

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FOTO: REUTERS Schutz unterm Schulpult: Kinder bei einer Erdbeben-Übung gestern in Tokio.
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FOTO: DPA Franz Alt (78) ist Journalist und Buchautor. Er engagiert sich für alternativ­e Energieerz­eugung.

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