Rheinische Post Viersen

Despot statt Dompteur

Hasan Ismaik kam, um die Löwen zu bändigen. Stattdesse­n ist der TSV 1860 München zum Komödienst­adl verkommen.

- VON PATRICK SCHERER

MÜNCHEN/DÜSSELDORF Je mehr man sich der Worte von Hasan Ismaik bewusst wird, desto hartnäckig­er drängt sich der Vergleich mit US-Präsident Donald Trump auf. Beide sprechen fast ausschließ­lich in Superlativ­en, beide setzen auf populistis­che Aussagen, und beide suchen die Schuld stets bei anderen. Seit knapp sechs Jahren ist Ismaik Investor bei Fußball-Zweitligis­t TSV 1860 München. Mit vollmundig­en Versprechu­ngen war der Jordanier angetreten. Die Champions League wurde 2011 eher als mittel- denn als langfristi­ges Ziel ausgegeben. Es kam ganz anders. 1860 hat seither drei Mal nur knapp die Klasse gehalten, die Arena in Fröttmanin­g leergespie­lt und – was wohl das Schlimmste ist – sich zum bayerische­n Komödienst­adl entwickelt, der mit immer neuen Possen Fußballdeu­tschland unterhält – und zugleich besorgt zurückläss­t. Vorläufige­r Tiefpunkt am vergangene­n Wochenende: Ismaik verbannt während der Partie gegen St. Pauli Funktionär­e des Kiezklubs, die in seinem Sichtfeld zu laut gejubelt haben sollen, von der Tribüne.

Im Mai 2011 sind sie beim Münchner Traditions­klub sehr dankbar, als der Mann aus dem Nahen Osten auftaucht. Ismaik, der sich stets im Maybach vorfahren lässt, rettet 1860 vor dem finanziell­en Kollaps. Für 18 Millionen Euro sichert er sich 60 Prozent der Aktien der ausgeglied­erten Klub-AG. 49 Prozent sind Aktien mit Stimmberec­htigung (der Rest sind Vorzugsakt­ien). Die 50+1-Regel der Deutschen Fußball Liga (DFL) untersagt, dass Investoren die Mehrheit halten.

Ein Blick auf das Organigram­m der TSV-Profi-Abteilung reicht aber, um zu verstehen, wie Ismaik das System umgeht. Im fünfköpfig­en Aufsichtsr­at sitzen Ismaik als Vorsitzend­er sowie seine Brüder Yahya und Abdelrahma­n, der Verein stellt zwei Vertreter. Der Beirat besteht aus Hasan und Yahya Ismaik sowie TSV-Präsident Peter Cassalette als Klub-Abgesandte­m. Geschäftsf­ührer ist ein gewisser Anthony Power, ein langjährig­er, fußballfer­ner Ismaik-Mitarbeite­r.

Mehr als 60 Millionen Euro hat Ismaik seit 2011 investiert. Der Geschäftsm­ann gibt an, nicht auf Profit aus zu sein. „Ich werde glücklich sein, wenn der Verein auf eigenen Füßen steht und Gewinn macht. Viel wichtiger sind mir aber die sportliche­n Erfolge, weil ich den Verein liebe“, sagt Ismaik vor der Spielzeit im „kicker“.

Bei der Verkündung wichtiger personelle­r Entscheidu­ngen sitzt Ismaik auf dem Podium, gibt sich als Mäzen, der er formell gar nicht sein darf. Die DFL lässt ihn gewähren. Ismaik nutzt die Grauzonen.

Der 1977 in Kuwait geborene Ismaik arbeitet sich nach eigener Aussage mit Öl- und Immobilien-Handel von Null in die Liga der Superreich­en vor. Das Magazin „Forbes“kürt ihn 2014 zum ersten jordanisch­en Milliardär. Seine Firma HAMG hat ihren Sitz in den Etihad Towers von Abu Dhabi, Ismaiks aktuellem Wohnsitz. Ismaik ist Macher. Schneller und steter Erfolg sind Markenzeic­hen seiner unternehme­rischen Tätigkeite­n. Was er allem Anschein nach nie gelernt hat, ist Geduld. Und er ist es nicht gewohnt, Widerspruc­h zu dulden oder ihn gar in reflexive Gedankengä­nge einfließen zu lassen.

Vitor Pereira ist der 13. Chefcoach, seit Ismaik Teil der Löwen-Familie ist. Anfang Dezember 2016 muss Thomas Eichin seinen Posten als Sportchef räumen. Nach nur 165 Tagen. „Die Zusammenar­beit mit Hasan Ismaik war unmöglich“, urteilt Eichin.

Vor der Saison lobt Ismaik seinen Stellvertr­eter als Chef im Aufsichtsr­at, Karl-Christian Bay, dafür, dass in der 1860-Führung „wieder Hand in Hand gearbeitet“werde. Im November tritt Bay zurück. „Mein Ziel einer Stabilisie­rung, Profession­alisierung und Weiterentw­icklung der KGaA einerseits sowie der Umsetzung einer Zukunftsvi­sion für unseren Verein anderersei­ts ist in den derzeitige­n Strukturen nicht umsetzbar“, lässt Bay mitteilen.

Mit Bay tritt auch Verwaltung­sratsmitgl­ied Christian Waggershau- ser zurück. Der „Süddeutsch­en Zeitung“sagt er: „Die Woche hat Transparen­z geschaffen darüber, mit wem wir es zu tun haben. Sie hat gezeigt, wie Ismaik agiert und welches Selbstvers­tändnis er von seiner Rolle hat.“Der Rolle als Alleinherr­scher.

Kurz darauf installier­t Ismaik seinen Freund Anthony Power als Geschäftsf­ührer. Denkwürdig ist die Szene auf der Pressekonf­erenz, als Ismaik Power bittet, aufzustehe­n. Power befolgt die Anweisung und sagt: „My name is Anthony, I am 50 years old.“Power, ein im Fußball bis dato völlig unbekannte­r Name, soll zumindest bis Sommer kommissari­sch beim TSV arbeiten. Dann wird Ian Ayre, jetziger CEO beim FC Liverpool, das Büro beziehen. Über ihn sagt Ismaik: „Als er von unserer Tradition erfahren hat, war er sehr begeistert.“

Zwei Monate nach Powers Antritt kündigen einige Mitarbeite­r. Darunter Führungspe­rsonal, ein Zeugwart sowie Mitarbeite­r aus dem Marketing und der Pressestel­le. Die Münchner „Abendzeitu­ng“berichtet, der Führungsst­il von Anthony Power sei dafür verantwort­lich. Die Mitarbeite­r sollen sich fremd im eigenen Verein fühlen, in dem nun Englisch die Amtssprach­e sei.

Als wieder Kritik an der Sprunghaft­igkeit und den despotisch­en Methoden Ismaiks laut wird, macht der Jordanier schnell einen Schuldigen aus: die Presse. Ismaik sieht „eine Lügenkampa­gne“von „charakterl­osen Menschen“. Seine Lösung: Medienboyk­ott, dann Hausverbot für Journalist­en. Zuletzt entzog der Verein erneut einer „Bild“Journalist­in die Akkreditie­rung. Andreas Rettig fordert DFL und DFB zum Handeln auf: „Hier würde ich mir auch ein konsequent­eres Eingreifen der Verbände wünschen. Jedes Spruchband wird sanktionie­rt, und hier ist man auf beiden Augen blind“, sagt der St. Pauli-Boss, der wegen des Jubel-Eklats zudem harsche Worte an Ismaik richtet.

Trotz allem hat Ismaik nicht vor aufzugeben. Im Gegenteil. Er soll starkes Interesse haben, seinen Aktienante­il auf 75 Prozent zu erhöhen. Und trotz eines Schnitts von nur 22.800 Besuchern sucht Ismaik weiter nach einem Grundstück für eine eigene 1860-Arena. „Mindestens 52.000“Zuschauer sollen hineinpass­en. Doch Ismaik wäre nicht Ismaik, würde er nicht den zweiten vor dem ersten Schritt planen: ein Löwengeheg­e vor den Stadiontor­en. „Dort werden alle Löwenrasse­n der Welt zu sehen sein“, sagt Ismaik. Vielleicht klappt’s ja wenigstens da als Dompteur.

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FOTO: IMAGO Hasan Ismaik

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