Enzyklika gegen Hitler
ROM An diesem Tag steht viel auf dem Spiel: die Glaubwürdigkeit der Kirche; das Schicksal von Millionen von Menschen – und vielleicht sogar der Fortgang der Weltgeschichte. Denn an diesem Tag vor 80 Jahren wird von über 11.500 Kanzeln in Deutschland der Rassenwahn der Nazis und ihre Ideologie an den Pranger gestellt. Es ist der 21. März 1937, Palmsonntag, an dem die Kirchengänger dies zu hören bekommen: „Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Landes und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Lichtund Frohbotschaft von Christus und dem Reiche Gottes gebracht hat.“Das hört sich heute – in Zeiten unmissverständlicher Botschaften – arg verklausuliert an, nahezu verzagt. Doch damals ist es ein Fanal, ein couragierter Akt der Kirche, der die Nazis völlig überrascht. Denn nur zwei Tage vorher hatten sie allen Grund zu jubeln. Mit der Enzyklika „Divini redemptoris“vom 19. März 1937 wähnten sie Papst Pius XI. auf ihrer Seite, hatte der Heilige Vater darin doch den atheistischen Kommunismus gebrandmarkt. Ausgerechnet die katholische Kirche, die sich bis dahin in Fragen der Politik opportunistisch verhalten hatte, übt nun einen Doppelschlag: Durch eine „Symmetrie der Verdammung“– so der Kirchenhistoriker Hubert Wolf – hoffte Rom, irgendwie überparteilich bleiben zu können.
Ein Drahtseilakt, der zeigt, wie ungewohnt eine solche Einmischung für die Kirche ist und wie ungelenk sie agiert, als sei sie noch immer nicht von und in dieser Welt.
Bis zu dieser Enzyklika „Mit brennender Sorge“hatte Rom es nicht einmal geschafft, Adolf Hitlers „Mein Kampf“auf den Index der verbotenen Bücher setzen zu lassen. Zumindest hatte der Jesuit Johann Baptist Rabeneck quasi im Alleingang ein Gutachten erstellt mit einer Sammlung von Hitlers irrigen Sätzen. Etwa über den Rassenwahn und die sogenannte Reinheit des Blutes, über das „Recht des Stärkeren“, den Götzenkult und die Ablehnung der Kirche. Auch diese Aufstellung führt nicht zu einem Verbot der Nazi-Schrift, doch fließt sie wenigstens in die Enzyklika mit ein.
Es gibt eine Vorgeschichte zur kirchenhistorisch fast schon revolutionären Kanzelverkündigung von 1937. In sie verstrickt sind diverse Akteure. Papst Pius XI. ist einer von ihnen – 80-jährig und kränklich, der 1933 den Staatsvertrag mit dem Deutschen Reich geschlossen hat. Doch die Nazis halten sich nicht an Verträge, schon gar nicht an jene mit der Kirche. In Deutschland rumort es. Zu den Beunruhigten gehört der Münchener Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber. Seine Kritik an den NS-Machthabern wird ihn zum wichtigen Zulieferer der Enzyklika machen. Noch wichtiger auf deutscher Seite aber ist der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen. Als Rom sich in den Jahren 1936/37 für einen grundlegenden Strategiewechsel im Umgang mit dem Nationalsozialismus entscheidet, ist dies vor allem von Galen zu verdanken. Der hatte schon zu Beginn des Jahres 1936 an Kardinalstaatssekretär Pacelli – den späteren Papst Pius XII. – geschrieben, dass alles taktische Verhandeln hinter verschlossenen Türen nun ein Ende haben müsse. Wirksam sei nur noch eins: „das Hervortreten an die Öffentlichkeit“.
Ein Hirtenbrief sei geplant, heißt es aus Rom. Das aber ist den Deutschen zu wenig. Denn für die Kirche gehe es „um Leben und Tod“; und man wolle „direkt ihre Vernichtung“, wird Rom übermittelt. Darum müsse es ein Lehrschreiben sein. Zumal es ein weiteres Problem gibt: So existiert unter den deutschen Bischöfen keineswegs Einigkeit in der
„Mit brennender Sorge“ist ein Aufschrei, der bald verhallt. Die Enzyklika bleibt ein einmaliges Strohfeuer