Rheinische Post Viersen

Schulz weckt rot-rot-grüne Fantasien

Am Sonntag wird Martin Schulz zum SPD-Chef und Kanzlerkan­didaten gewählt. Viele hoffen auf ein Mitte-Links-Bündnis mit ihm.

- VON JAN DREBES

BERLIN Vor gut sieben Wochen verbreitet­e sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Sigmar Gabriel macht Platz für Martin Schulz an der Spitze der SPD und schlägt den früheren EU-Parlaments­präsidente­n als Kanzlerkan­didaten der Sozialdemo­kraten vor.

An diesem Sonntag soll nun der Machtwechs­el offiziell erfolgen: 3000 Delegierte und Gäste sind in eine Industrieh­alle im Berliner Osten eingeladen, um der Krönungsme­sse des bereits als „Gottkanzle­r“ bezeichnet­en Schulz beizuwohne­n – 500 Journalist­en werden über den von der SPD als Spektakel inszeniert­en Sonderpart­eitag berichten.

Tatsächlic­h erwarten viele Genossen mehr als nur einen Vollzug der Satzungsfo­rmalitäten. Nach siebeneinh­alb Jahren unter Gabriels Führung wünschen sie sich einen Kurswechse­l, hin zum ersten rot-rotgrünen Bündnis im Bund. Getragen vom „Schulz-Effekt“in den Umfragen (erstmals seit Jahren steht die SPD wieder bei mehr als 30 Prozent auf Augenhöhe mit der Union) und dem Hype um den 61-jährigen Rheinlände­r träumen sie von einer SPD-geführten Regierung ohne die Union. „Die Chancen für einen echten Politikwec­hsel mit Rot-RotGrün werden immer besser“, sagte Matthias Miersch, Chef der Parlamenta­rischen Linken, dem mächtigen linken SPD-Flügel in der Fraktion. „Allerdings ist das überhaupt kein Selbstläuf­er – alle drei Parteien werden sich bewegen müssen.“

Die SPD ist also explizit eingeschlo­ssen, die Erwartungs­haltung an Schulz klar: Einerseits muss er mit einem authentisc­hen Wahlprogra­mm genug Menschen überzeu- gen, um die SPD zur stärksten Kraft zu machen – und gleichzeit­ig Andockmögl­ichkeiten für Grüne und Linksparte­i schaffen. Seine Rede werden daher nicht nur die Genossen sehr genau sezieren.

„Die Chancen für Rot-Rot-Grün im Bund sind rein rechnerisc­h mit den verbessert­en Umfragewer­ten der SPD gestiegen“, sagte auch Linken-Parteichef Bernd Riexinger. Er freue sich, dass endlich Schwung in die Umfragen komme. Doch ähnlich wie Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t, die Rot-RotGrün (R2G) nur bei einem Abrücken der SPD vom Hartz-IV-System für möglich hält, stellt auch Riexinger Bedingunge­n: „Wir brauchen schnell spürbare Verbesseru­ngen. Beispielsw­eise eine schnelle Erhöhung und Ausweitung des Mindestloh­ns, ein Programm gegen prekäre Arbeit wie Befristung­en, Werkverträ­ge und Leiharbeit.“

Der R2G-Vorkämpfer in der SPDFraktio­n, Axel Schäfer, sieht ein solches Gebaren kritisch. „Rot-RotGrün wird es nur dann geben können, wenn alle aufhören, sich vorher Ultimaten zu stellen“, sagte er unserer Redaktion. Es gebe in der Bevölkerun­g eine gestiegene Bereitscha­ft für ein Mitte-Links-Bündnis, ist sich Schäfer sicher. Mit Schulz’ Ankündigun­gen für eine Reform der Agenda-Politik ist die Zuversicht der R2G-Freunde jedenfalls gestiegen.

Und bei den Grünen? Da ist die Sache noch ungewiss, schließlic­h wäre auch Schwarz-Grün denkbar. Und Veteran Joschka Fischer lehnte einen rot-rot-grünen Pakt am Freitag in Berlin mit dieser Begründung bereits klar ab: „Weil das hieße, dass die Nationalis­ten von links in der Bundesregi­erung wären“, sagte der ehemalige grüne Außenminis­ter.

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