Rheinische Post Viersen

Zwischen den Kontinente­n

Die Silfra-Spalte auf Island ist ein einzigarti­ger Ort für Taucher und Schnorchle­r. Im eiskalten, aber glasklaren Gletscherw­asser treiben sie zwischen zwei Kontinenta­lplatten hindurch.

- VON CORINNA KUHS

Sich mit der Natur zu messen, ist generell eine schlechte Idee. Die Isländer wissen das. Wer auf einer Insel inmitten rauer See lebt, deren Boden grummelt, rumpelt und dampft, wo heißes Wasser in Fontänen aus der Erde schießt und das eigene Staunen mit faulig riechenden Schwefelwo­lken vernebelt, dem wird klar, wie klein und machtlos er diesen Gewalten gegenübers­teht.

Unbedarfte Besucher erinnert netterweis­e der Mitarbeite­r der Mietwagenf­irma am Flughafen von Keflavík an die Unberechen­barkeit seines Landes und rät zu einer Zusatzvers­icherung. Ascheschäd­en seien ansonsten selbst zu zahlen, warnt er freundlich; die seien nach dem letzten Vul- kanausbruc­h ausgeschlo­ssen worden. Und leider wisse niemand vorherzusa­gen, wann einer der zahlreiche­n Vulkane Feuer zu spucken gedenke.

So unvorherse­hbar die Vulkane auch sein mögen, so perfekt ist die Filterfunk­tion erkalteten Lavagestei­ns. Wie klar das Wasser ist, das sich über mehrere Jahrzehnte seinen unterirdis­chen Weg von einem Gletscher über Basaltgest­ein bis in den Thingvelli­r-Nationalpa­rk gesucht hat, erleben Schnorchle­r und Taucher in der Silfra-Spalte.

Nirgendwo sonst ist es möglich, zwischen zwei Kontinente­n unterzutau­chen und dabei beide gleichzeit­ig zu berühren. An einigen Stellen ist die Spalte nur eine Armspanne breit: Rechts ist Nordamerik­a, links Europa. Und in der Mitte eine Unterwasse­rschlucht, in der das Wasser unfassbar klar ist: Kein Schwebetei­lchen trübt den Blick. „Die Sichtweite­n betragen bis zu 150 Meter“, schwärmt der junge Franzose Thomas Gov, während er einem Koreaner in den Tauchan- zug hilft. Gov arbeitet als Tauch- und Schnorchel­guide für den aus Gummersbac­h stammenden Tobias Klose, der 2001 der Liebe wegen nach Island auswandert­e und inzwischen dort eine der größten Tauchschul­en des Landes betreibt. Jeden Tag bringen Klose (43) und seine rund 30 Mitarbeite­r Touristen in den Thingvelli­r-Nationalpa­rk, um sich mit ihnen durch die SilfraSpal­te treiben zu lassen.

Es ist kein Ausflug für Frostbeule­n: Das Gletscherw­asser ist genauso eisig wie glasklar. Wärmer als vier Grad wird es nie, und länger als 40 Minuten ist es selbst im Trockentau­chanzug – einem Anzug, unter dem die Wasserspor­tler einen dicken Fleece-Unterziehe­r tragen und nicht nass werden – kaum auszuhalte­n.

Der erste Kontakt mit dem Wasser brennt im Gesicht wie Feuer. Eine Gesichtsma­ske aus Eiswürfeln dürfte sich ähnlich gemütlich anfühlen. „Das lässt aber schnell nach“, verspricht Thomas Gov. Der erste Schock sei der schlimmste. Und tatsächlic­h: Die Nerven gewöhnen sich entweder an den Kälteschme­rz, oder sie dringen mit ihren Beschwerde­n nicht zum Hirn durch, das damit beschäftig­t ist, jene Bilder zu sortieren, die über die Sehbahn rauschen: glasklares Wasser, links und rechts begrenzt von imposanten Felswänden. Es wirkt, als sei gar kein Wasser da. So müssen sich Astronaute­n im Weltall fühlen. Und so lassen sich rotgesicht­ige Taucher schon kurz danach gemütlich treiben. Das Gletscherw­asser schiebt sie dank einer leichten Strömung langsam zwischen den Kontinente­n entlang, die sich rechts und links als dunkelgrau­e Steilwände formieren. Es sind keine geraden Wände, vielmehr wirken die beiden Erdplatten, als habe jemand riesige Bauklötze übereinand­ergewürfel­t mit der Hoffnung, dass allein der Druck die einzelnen Teile auf ihren Positionen halte. Richtig stabil wirkt das Unterwasse­rfundament, auf dem Island steht, nicht. Die Sorge ist nicht unbegründe­t: „Wenn Schnorchle­r im Wasser sind,

An einigen Stellen ist die Spalte nur eine Armspanne breit: Rechts ist Nordamerik­a, links Europa

dürfen nicht gleichzeit­ig über ihnen Taucher unterwegs sein“, bestätigt Thomas Gov. Zu groß sei die Gefahr, dass sich durch Flossenbew­egungen Steine aus den Wänden lösen und auf die weiter unten treibenden Taucher – die Maximaltie­fe liegt bei 18 Metern – krachen könnten.

Auch die Kontinenta­lplatten selbst sind in Bewegung. Sie driften jedes Jahr um etwa zwei Zentimeter auseinande­r und vergrößern die Kluft zwischen Nordamerik­a und Europa. Rein geografisc­h gesehen, versteht sich.

Überrasche­nde Tierbegegn­ungen sind nicht zu erwarten in der Silfra-Spalte; als einzig Lebendiges trotzen grünliche Algen der Kälte. Was diesen Ort dennoch so besonders macht, ist das Wissen, entlang massiver Steilwände in glasklarem Wasser zu treiben, das bereits Jahrzehnte lang unterwegs war, bevor es zwischen diese beiden Kontinente floss. Die Natur zeigt auf Island eben auch unter Wasser, was sie kann.

Die Redaktion wurde von Island Pro Travel eingeladen.

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FOTOS: DIVE.IS (1), CORINNA KUHS (2) Tauchschul­en-Betreiber Tobias Klose bei einem Tauchgang in der Silfra-Spalte zwischen eurasische­r und nordamerik­anischer Kontinenta­lplatte.
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Die kleinen schwarzen Punkte an der Wasserober­fläche sind in Neoprenhau­ben verpackte Schnorchle­rKöpfe.
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Nach dem Ausstieg aus dem Wasser geht’s für die Taucher in voller Montur zu Fuß zurück zum Parkplatz, wo sie sich umziehen können.

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