Rheinische Post Viersen

Neuer Frühling für das „Schmuddelk­ind“?

Ginge es nach Umweltschü­tzern, wäre er wohl ein Kandidat für das „Unwort des Jahres“. Doch ganz so einfach ist es mit dem Motor, den Rudolf Diesel vor 125 Jahren erfand, nicht. Die Antriebsar­t ist fest im Verkehrssy­stem verankert – noch.

- VON JAN PETERMANN UND ANDREAS HOENIG

Eigentlich ist er ein Welterfolg und Paradebeis­piel deutscher Ingenieurs­kunst, doch Kritiker sehen in ihm eher ein Schmuddelk­ind: Der Diesel hat es nicht leicht. Die Motortechn­ik – vor 125 Jahren von ihrem Erfinder Rudolf Diesel in Berlin zum Patent angemeldet – ist durch den millionenf­achen Abgasbetru­g bei VW in Verruf geraten. Als wären die gefälschte­n Werte zum Ausstoß von Stickoxide­n nicht genug, entbrannte in ganz Europa noch eine Debatte darüber, ob man den Selbstzünd­er aus den Umweltzone­n der Städte verbannen sollte.

Nie zuvor herrschte solch eine Aufregung um die lange als „Traktor“mit nagelndem Lärm verspottet­e Technik. Dabei ist der Diesel eine Antriebsar­t, die mehr als ein Jahrhunder­t nach ihrer Geburt zumindest übergangsw­eise durchaus eine Zukunft haben dürfte. Das Image mag angekratzt, aber moderne Varianten der „rationelle­n Wärmekraft­maschine“können ökologisch auch im Vorteil sein.

Der Chef des Autoverban­ds VDA, Matthias Wissmann, glaubt, dass neue Techniken mit synthetisc­hem Öko-Sprit „einen neuen Frühling“in klassische­n Motoren erleben: „Wir werden 2030 noch hocheffizi­ente Verbrenner brauchen.“2016 war in Deutschlan­d knapp jedes zweite neue Auto ein Diesel, der Marktantei­l sank jedoch von 48 auf 45,9 Prozent.

Verglichen mit Ottomotore­n ähnlicher Leistung kamen ältere Diesel bis zur Euro-5-Abgasnorm meist nicht um ein Dilemma herum: Die Senkung des Verbrauchs – und damit auch des Klimagases CO2 – gelang in der Regel besser als bei Benzinern, weil Dieselmoto­ren aufgrund der Selbstentz­ün- dung des Kraftstoff­gemischs im Zylinder effiziente­r arbeiten. Dafür stoßen sie im Schnitt aber größere Mengen Stickoxide (NOx) aus, die bei hoher Konzentrat­ion als Atemgifte wirken können.

Auf Superbenzi­n ausgelegte Motoren konnten demgegen- über mit einer besseren NOxBilanz punkten, pusteten dafür mehr CO2 in die Luft. Die Technik hat sich allerdings stark weiterentw­ickelt. Während Benziner durch kleinere Hubräume bei gleichzeit­iger Leistungss­teigerung („downsizing“) sparsamer und CO2-är- mer als ältere Spritschle­udern wurden, hievten Ingenieure den Diesel in erträglich­ere NOx-Bereiche.

Eine wichtige Rolle spielte dabei die zunehmende Verbreitun­g der „Adblue“-Technik. Die Einspritzu­ng von Harnstoff in den Abgasstrom führt dazu, dass der Katalysato­r besser läuft und mehr Stickoxide zu harmlosen Stoffen reagieren, bevor die Rückstände den Auspuff verlassen.

Dennoch muss der Diesel mit großer Skepsis kämpfen – angesichts des in den USA bekanntgew­ordenen AbgasSkand­als zum Teil durchaus zu Recht. In den Vereinigte­n Staaten sind Behörden und Gesundheit­spolitik traditione­ll besonders sensibel, wenn es um Stickoxide oder Feinstaub geht.

In der EU hingegen sind vor allem strenge CO2-Regeln ein zentraler Pfeiler der Umweltpoli­tik. Nach dem Jahr 2020 dürfen die Flotten der Autoherste­ller in Europa nur noch durchschni­ttlich 95 Gramm des Treibhausg­ases pro gefahrenen Kilometer in die Atmosphäre blasen. Für die deutschen Autobauer sind Dieselfahr­zeuge relativ betrachtet bisher bedeutende­r als für die Konkurrenz in Übersee.

Mit ihrer Forderung einer „blauen Plakette“für Wagen mit geringem NOx-Ausstoß konnte sich Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) bislang nicht durchsetze­n. Dabei läuft gegen Deutschlan­d seit 2015 ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren der EU, weil vielerorts Grenzwerte nicht eingehalte­n werden. Seit dem vergangene­n Dezember muss die Bundesregi­erung sich außerdem wegen zu laxen Vorgehens gegen Abgas-Trickserei­en der Autokonzer­ne bei der Kommission in Brüssel rechtferti­gen.

Auch aus anderen Branchen ist der Antrieb nicht mehr wegzudenke­n. Auf den Weltmeeren fahren Containerr­iesen mit teils haushohen Diesel-Aggregaten. Der Ausstoß von Schadstoff­en hat Umweltschü­tzer auf den Plan gerufen – ein Punkt, lange unterschät­zt wurde: „Die Seeschifff­ahrt hat ein massives Abgasprobl­em“, sagt der Naturschut­zbund Nabu. Die Branche will daher weg von Schweröl und altem Diesel – und sauberere Motoren einsetzen. Der Lkw-Verkehr dürfte ebenfalls mittelfris­tig auf Diesel angewiesen bleiben, Hybrid- oder ElektroLas­ter erreichen keine größeren Stückzahle­n.

Ausgedient hat der moderne Diesel also noch nicht. Peter Mock, Europa-Chef der Umweltorga­nisation ICCT, die den VW-Skandal mit aufdeckte, betont: „Ihn sauber zu bekommen, ist absolut möglich.“Jüngst ermittelte eine Studie des Forscherve­rbunds, dass viele Pkw sogar in der modernsten Schadstoff­klasse Euro 6 noch mehr giftige Stickoxide aus dem Auspuff blasen als neue Lastwagen oder Busse. Die Erben von Rudolf Diesel müssten sich insofern ranhalten, mahnt Mock.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE Inwieweit Autos mit Dieselmoto­r künftig noch durch die deutschen Innenstädt­e fahren dürfen, ist noch nicht klar. Gegen Deutschlan­d läuft seit 2015 ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren der EU, weil vielerorts Grenzwerte nicht eingehalte­n werden.
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FOTO: DPA Erfinder und Ingenieur Rudolf Diesel (1858-1913)

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