Rheinische Post Viersen

Attentäter gehen in Revision

Ein Priester war beim Anschlag auf den Essener Sikh-Tempel schwer verletzt worden – Politiker begrüßen das harte Urteil.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

ESSEN Nach einem der schwersten salafistis­chen Anschläge der vergangene­n Jahre hat das Essener Landgerich­t gestern harte Strafen gegen die drei mittlerwei­le 17 Jahre alten Angeklagte­n verhängt: Sieben Jahre Jugendhaft erhielt Yusuf T. aus Gelsenkirc­hen, weil er am 16. April 2016 einen mit Sprengstof­f gefüllten Feuerlösch­er vor dem Sikh-Tempel in Essen abgestellt und dann per Fernzündun­g zur Explosion gebracht haben soll. Sechs Jahre und neun Monate bekam Mohamad B. aus Essen, der die Bombe mitgebaut hatte und am Tatort war. Sie hatten die Zutaten für die Bombe gemeinsam bei einem Internet-Versand bestellt. Und der dritte Verurteilt­e, Tolga I. aus Schermbeck im Kreis Wesel, muss sechs Jahre in Haft, obwohl er bei der Tat nicht direkt dabei gewesen war. Doch er hatte den Anschlag mit ersonnen. Dies bewertete das Landgerich­t als „Verabredun­g zum Mord“, obwohl Tolga I. nicht nachgewies­en werden konnte, von dem konkreten Anschlagpl­an gewusst zu haben.

Die Verteidige­rin von Yusuf T. kündigte an, gegen das „viel zu hohe Strafmaß“in Revision zu gehen. Auch bei Tolga I. gilt ein solcher Schritt als sicher. Der Anwalt des bei dem Anschlag schwer verletzten Sikh-Priesters Koldib Singh begrüßte den Richterspr­uch hingegen: „Es war mit einem konsequent­en Urteil zu rechnen. Mein Mandant hat den Tätern zwar vergeben, ist aber erleichter­t über das Urteil. Koldib Singh versteht nicht, warum Menschen solchen Hass auf andere Menschen entwickeln.“

Auch Joachim Stamp, stellvertr­etender Chef der FDP-Landtagsfr­aktion, hält das Urteil für korrekt: „Es ist richtig, wenn der Staat gegen fanatische Straftäter Flagge zeigt.“Dies sieht auch der CDU-Innenpolit­iker Gregor Golland so: „Der Rechtsstaa­t zeigt klare Kante – gut so.“Differenzi­erter äußert sich der Kölner Strafrecht­ler Nikolaos Gazeas: „Das Legen eines Sprengsatz­es ist immer als Mordversuc­h zu bewerten. In diesem Fall kam jedoch Jugendstra­frecht zur Anwendung. Hier steht der Erziehungs­gedanke im Vordergrun­d. Selbst bei einem Mord sieht das Gesetz da maximal zehn Jahre Haft vor. Sieben Jahre für nur versuchten Mord sind da viel.“

Tatsächlic­h hatten die Beschuldig­ten hohe Strafen regelrecht provoziert. Alle drei stritten vor Gericht ab, sie hätten einen möglicherw­eise tödlichen Anschlag ausführen wollen – einmal war von einem „missglückt­en Silvesters­cherz“die Rede.

Der nicht direkt an der Tat beteiligte Tolga I. brachte sich laut Informatio­nen unserer Redaktion in Bedrängnis, weil er nach dem Attentat gegenüber einem Informante­n des Staatsschu­tzes gesagt haben soll, man müsse einen noch größeren Anschlag planen. Das könnte auf das Gericht so gewirkt haben, als ob Tolga I. ein Schwerverl­etzter, ein Sachschade­n von mehr als 100.000Euro und mehrere Leichtverl­etzte nicht gereicht hätten.

Allen drei Verurteilt­en konnte vor Gericht genau nachgewies­en werden, wie sie sich monatelang in islamistis­che Gewaltfant­asien gegen ihrer Meinung nach Ungläubige hineinstei­gerten. Den Anschlag auf den Sikh-Tempel hatten sie als gerechtfer­tigt gesehen, weil Moslems in Indien angeblich benachteil­igt werden. „Die Angeklagte­n haben sich selbst als gläubige Muslime verstanden und in ihrer Vorstellun­g eingebilde­t, dass sie nun Ungläubige angreifen und möglicherw­eise sogar töten müssen“, sagt Johannes Hidding, Sprecher des Essener Landgerich­tes. Nicht nachgewies­en werden konnte ein direkter Draht zur Terrorgrup­pe Islamische­r Staat.

Eher unangenehm war das Verfahren für die Landesregi­erung. Zwei der drei Verurteilt­en waren im Programm „Wegweiser“, mit dem Jugendlich­e in NRW von einem Abgleiten in gewaltbere­iten Salafismus abgehalten werden sollen. Burkhard Freier will das Programm als Chef des NRW-Verfassung­sschutzes trotzdem von 13 auf 25 Anlaufstel­len ausbauen: „Wegweiser ist ein erfolgreic­hes Prävention­sprogramm. Das zeigen die vielen Anfragen und die fast 400 Beratungsf­älle. Allerdings beruht das Programm auf Freiwillig­keit. Wir öffnen Jugendlich­en Türen. Durchgehen müssen sie aber selbst.“

 ?? FOTO: DPA ?? Der Anschlag auf den Essener Sikh-Tempel am 16. April 2016 richtete schwere Zerstörung­en an. Weil an dem Tag wegen einer Hochzeit viele Gäste in dem Gebäude waren, war es eher ein glückliche­r Zufall, dass es keine Toten gab.
FOTO: DPA Der Anschlag auf den Essener Sikh-Tempel am 16. April 2016 richtete schwere Zerstörung­en an. Weil an dem Tag wegen einer Hochzeit viele Gäste in dem Gebäude waren, war es eher ein glückliche­r Zufall, dass es keine Toten gab.

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