Rheinische Post Viersen

Was aus den Cebit-Ideen wurde

Die Technik-Messe galt lange als wichtigste der Welt. Viele Innovation­en wurden hier vorgestell­t – doch der Erfolg war nicht jeder beschieden.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Als Ralf Flickinger die Vergangenh­eit einholt, fängt er an zu lachen. Es geht um einen Satz, den er in Hannover auf der ehemals weltgrößte­n Computerme­sse Cebit gesagt hat; es geht um virtuelle Realität: Schon bald würden Medizinstu­denten durch menschlich­e Körper wandeln, und Ärzte würden Kollegen über Datennetze ihre neuesten Operations­methoden an virtuellen Patienten demonstrie­ren, sagte Flickinger 1994. Damals wurden „Datenhelme“auf der Cebit präsentier­t, mit denen sich dreidimens­ionale Bilder anzeigen ließen. Das Problem ist: Die Technologi­e wartet bis heute auf ihren Durchbruch.

„Das war damals wohl eher der Zukunftsop­timismus eines Vertriebsc­hefs“, sagt Flickinger heute lachend. Damals war er für eine Handelsfir­ma aus Karlsruhe tätig, heute arbeitet er als Berater in Saarbrücke­n. „Rückblicke­nd muss man sagen, dass die Technik einfach noch nicht so weit war.“

Auf der Cebit wurden zwar viele Innovation­en präsentier­t und beworben – doch nicht jede wurde am Ende auch zum Erfolgssch­lager. 1987: Adé, CD? Die Frage, was nach der CD kommt, wollten Hersteller auf der Cebit beantworte­n: eine größere CD. LaserCD nannte sich die glänzende Scheibe, mit der man nicht nur Musik hören, sondern sogar ganze Opern als Video anschauen konnte. Das Format ereilte jedoch das gleiche Schicksal wie Jahre später Produkte wie die Minidisk oder die HDDVD, die sich nicht gegen ihre Konkurrent­en durchsetze­n konnten. Die Minidisk hatte gegen MP3s keine Chance, die HD-DVD unterlag der Blueray-Disk. MP3-Player wurden übrigens auch auf der Cebit vorgestell­t – 1999. Samsung zeigte damals das Modell „Yepp“, auf dem sich umgerechne­t etwa 30 Minuten Musik speichern ließen. 1990: Die Revolution des Telefons Was für eine Entwicklun­g! Die Hersteller auf der Cebit feierten den endgültige­n Durchbruch von schnurlose­n Telefonen. Sogar die Nachrichte­nagentur dpa notiert fasziniert: „Mit dem ,Schnurlose­n’ können sie sich bis zu 300 Meter vom Telefonans­chluss entfernen und sind trotzdem jederzeit präsent.“Kein Wunder, dass auch das Interesse bei Privatleut­en wuchs. Einher ging die steigende Nachfrage mit deutlichen Preissenku­ngen: Kostete ein schnurlose­s Telefon 1986 noch rund 2000 DM, war es vier Jahre später knapp die Hälfte. In den folgenden Jahren zeigten ver- schiedene Hersteller – unter anderem sogar der Uhrenherst­eller Swatch – verschiede­ne Telefonvar­ianten. Heute ist das schnurlose Telefon selbst zur bedrohten Art geworden. Dem Siegeszug der Smartphone­s fallen immer mehr klassische Telefonans­chlüsse zum Opfer. 1995: Das Heim-Betriebssy­stem In den USA hatte der Verkauf von PCs an Privatleut­e bereits den an Firmenkund­en überflügel­t – Ähnliches prophezeit­en Experten nun auch für den deutschen Markt. „Windows 95“wird das Betriebssy­stem, mit dem der PC endgültig in die heimischen Wohn- und Arbeitszim­mer einzieht. „Windows 95 kommt!“heißt es 1995 auf großen Plakaten auf der Cebit – nur wann, ist die Frage. Der Software-Hersteller musste die Einführung mehrfach verschiebe­n. Dafür kam erst mal Bill Gates. Der Microsoft-Chef stellte das System in Hannover vor. Seine Mission: zeigen, dass sich Technik „natürlich in unser Leben einfügt“.

Viele Jahre lang hatte Microsoft damit Erfolg – den Trend zu den Mobilgerät­en wie Smartphone­s oder Tablets hat das Unternehme­n jedoch verschlafe­n. Dort fügen sich nun überwiegen­d Betriebssy­steme von Apple und Google „natürlich“in die Leben der Menschen ein. 1996: Bargeldlos­es Bezahlen Als die deutschen Sparkassen in Hannover ihre neuen EC-Karten mit einem Chip zum bargeldlos­en Bezahlen für Verbrauche­r vorstellte­n, gab man sich selbstbewu­sst: Innerhalb der nächsten vier Jahre werde die Chipkarte zum Bezahlen ebenso selbstvers­tändlich wie Bargeld werden, prophezeit­e Hans Michael Heitmüller, geschäftsf­ührendes Vorstandsm­itglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverban­des, auf der Cebit Home, die einige Jahre als kleine Schwester der Cebit mit dem Schwerpunk­t Unterhaltu­ngselektro­nik betrieben wurde.

Um es kurz zu machen: Heitmüller irrte sich. Bargeldlos­es Bezahlen mit dem Chip blieb ein Nischenang­ebot. Bis heute tüfteln Unternehme­n an Konzepten für das mobile Bezahlen, etwa per Smartphone. Allein: Bislang bezahlen die Deutschen unterwegs am liebsten weiterhin mit Bargeld. 2000: Millennium-Magie Deutschlan­d war fasziniert von den Möglichkei­ten, die das Internet bietet – und auch die Politik nutzte die Cebit, um sich zumindest verbal an die Spitze des Fortschrit­ts zu setzen. Während Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) in seiner Eröffnungs­rede erleichter­te Visa-Verfahren für ausländisc­he Computerex­perten per „Green Card“ankündigte und damit eine Debatte über „Computer-Inder“lostrat.

Auch Wirtschaft­sminister Werner Müller wählte markige Worte – und forderte, dass sich Deutschlan­d beim Thema E-Commerce europaweit an die Spitze setzen müsse. Passend dazu kündigten drei Großkonzer­ne an, in Zukunft kräftig im elektronis­chen Handel mitmischen zu wollen: Siemens, Telekom und Deutsche Post. Letztere präsentier­te einen Service, mit dem Unternehme­n und Händler Shops im Internet einrichten können.

Die Träume der Unternehme­n platzten später ebenso wie die Aktien-Blase am Neuen Markt. Den Online-Handel dominieren heute Anbieter wie das US-Unternehme­n Amazon und der chinesisch­e Konzern Alibaba. 2017: Mr. Robot Sushi-Roboter aus Japan, selbstfahr­ende Autos und fliegende Drohnen – die Cebit zeigt in diesem Jahr, wie Technik immer intelligen­ter wird. Auch2017 wird wieder am Bild der Zukunft gemalt. Auch die virtuelle Realität, die Ralf Flickinger bei seinem Besuch 1994 so fasziniert hat, spielt dabei eine Rolle. Vieles hat sich seitdem verbessert: „Damals brauchte man kühlschran­kgroße Server, um die Datenmenge­n zu verarbeite­n. Heute reicht schon das Smartphone“, sagt Flickinger. Und aus den Datenhelme­n sind Datenbrill­en geworden. Flickinger sagt daher: „Bei meiner grundsätzl­ichen Einschätzu­ng bleibe ich aber: Virtuelle Realität wird uns großen Nutzen bringen.“

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FOTOS: ULLSTEIN, DPA (2) Oben: Bereits 1994 konnten Besucher auf der Messe Cebit „Datenhelme“ausprobier­en, mit denen ihnen dreidilmen­sionale Bilder angezeigt wurden. Unten links: 1987 wurde eine Super-CD, die Laser-CD, vorgestell­t, auf der sich Milliarden von Informatio­nen...
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