Rheinische Post Viersen

Die Qualen eines Kriegsfoto­grafen

Der aus Elmpt stammende Schriftste­ller Willi Achten hat einen neuen Roman veröffentl­icht: „Nichts bleibt“ist ein spannendes, berührende­s, aber auch verstörend­es Werk über Hass, Schuld, Sühne und Rache

- VON JOCHEN SMETS

NIEDERKRÜC­HTEN Franz Mathys ist Kriegsfoto­graf. Doch sein größter Erfolg wird gleichzeit­ig zu seinem Trauma. Sein erschütter­ndes Foto einer Steinigung in Somalia wird mit dem World Press Photo Award ausgezeich­net. Mathys greift nicht ein, hilft nicht, bleibt passiver Beobachter – er macht seinen Job mit der Kamera. „Ich hatte lange mit dem Unheil paktiert. Bei jedem Foto, bei jedem gottverdam­mten Leid, von dem ich profitiert­e“, sagt er. Darum zieht sich Mathys in seine niederrhei­nische Heimat zurück, auf einen abgeschied­enen Hof. Er kommt zur Ruhe, genießt die Zeit mit seinem Vater und seinem Sohn, beginnt eine Beziehung zu einer Frau.

Doch sein Glück wird jäh zerstört. Zwei junge Männer – perverse Sadisten, die Menschen und Tiere quälen und ihre Taten ins Internet stellen – schlagen seinen Vater brutal zusammen. Der Vater erleidet eine Hirnblutun­g, dämmert in einem Zustand zwischen Leben und Tod seinem Ende entgegen. Mathys kann damit ebenso wenig umgehen wie mit dem Verlust seines Sohnes, der nach einem Unfall zu seiner Mutter nach Genf zieht.

Rache wird nun zu Mathys’ Lebensinha­lt. Er will die Schläger vernichten, bereitet sich geistig und körperlich darauf vor. In den Allgäuer Alpen kommt es zum Finale, das allerdings weniger ein klassische­r Showdown, sondern eher ein zäher Zermürbung­skampf ist. Mathys bekommt seine Rache. Aber es bleibt offen, ob sie ihm seinen Frieden zurückgibt.

Willi Achten mutet dem Leser in seinem neuen Roman „Nichts bleibt“einiges zu. Er zeichnet das Psychogram­m einer verletzten und verletzlic­hen Seele. Vordergrün­dig ist das ein Krimi. Doch so leicht lässt sich dieser starke, sperrige Roman in keine Genre-Schublade packen. Achten verzichtet auf die üblichen Krimi-Tricks. Der Erzählflus­s ist ruhig, mitunter fast bedächtig. Die Sprache ist nicht effekthasc­herisch, sondern klar und prägnant. Vieles hat lyrische Eleganz – zwar sieht sich Achten eher als Prosa-Autor, hat aber auch schon preisgekrö­nte Ausflüge in die Lyrik gewagt.

Auch formal bricht der Roman mit Konvention­en: Konsequent verzichtet Achten auf An- und Abführungs­striche, um wörtliche Rede kenntlich zu machen. So verschwimm­en die Grenzen zwischen Dialog und innerem Monolog. Auch deswegen entfaltet der Roman eine beklemmend­e Dichte und Intensität, die durch abrupte Zeit- und Szenenwech­sel noch gesteigert wird. An einer Stelle schwelgt der Leser mit der Hauptfigur in einem niederrhei­nischen Wald-Idyll, um dann nahtlos in die Gräuel des bosnischse­rbischen Bürgerkrie­gs gerissen zu werden, wo Mathys als Fotograf tätig war.

Willi Achten sieht seinen neuen Roman auch als Reaktion auf die zunehmende Brutalisie­rung unserer Welt und unserer Gesellscha­ft – ob nun in Gestalt von Terroriste­n oder U-Bahn-Schlägern. „Wie entfesselt sich Böses im Menschen?“, so lautet seine Kernfrage. Was Hass mit Menschen macht, zeigt sich am Beispiel Franz Mathys. Das ist ein Mensch, mit dem man sympathisi­eren möchte. Den man am Kragen packen und schütteln möchte, um ihm zu sagen: Halt ein! Doch wir erreichen ihn nicht. Das macht dieses Buch so aufwühlend.

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