Bis Herbst 2018 muss der Brexit-Vertrag stehen
Eine 30 Mann starke EU-Truppe wird um die Bedingungen für den britischen Austritt ringen.
LONDON/BRÜSSEL Nun ist es also amtlich. Gestern Mittag übergab der britische EU-Botschafter Tim Barrow EU-Ratspräsident Donald Tusk den Brief mit dem offiziellen Wunsch Londons, aus der EU auszutreten. Großbritannien nimmt dafür Artikel 50 des Lissabon-Vertrags in Anspruch, der den Austritt regelt. 278 Tage lang, seit am 24. Juni am frühen Morgen das Brexit-Votum feststand, hat sich Brüssel auf diesen Moment vorbereitet.
„Wir vermissen euch jetzt schon“, war Tusks erste Reaktion; jetzt gehe es um Schadensbegrenzung. Als Erstes wird er nun seinen Vorschlag für die Leitlinien der Austrittsverhandlungen an die Hauptstädte der EU der 27 schicken. Die Staats- und Regierungschefs sollen sie bei ihrem Gipfel am 29. April absegnen. Dann kann Michel Barnier loslegen, der ehemalige Binnenmarkt-Kommissar, der auf EU-Seite die Verhandlungen führt.
Er ist von der EU-Kommission wenige Wochen nach dem Referendum zum Chefunterhändler ernannt worden. Barnier ist ein 66jähriger Franzose, groß gewachsen, leidenschaftlicher Wintersportler, der in den französischen Alpen aufgewachsen ist und erst in recht fortgeschrittenem Alter als EU-Kommissar Englisch gelernt hat. Er hat aus dem Beamtenapparat der Kommission bislang 30 Spitzenleute herausgepickt, die ihm zur Seite stehen. Es sollen mehr werden.
Im EU-Jargon heißt Barniers Truppe „Taskforce 50“, kurz: TF 50. Seine Vize ist die Saarländerin Sabine Weyand. Die Politologin, die seit 1994 in der Kommission arbeitet und zuletzt Vize-Direktorin in der Handelsabteilung war, wird die operative Arbeit führen, Papiere anfordern und Arbeitsaufträge vergeben. Die TF50 hat drei inhaltliche Referate für Handel, Haushalt und Binnenmarkt. Hinzu kommt eine Abteilung für Strategie und Kommunikation, die von einer ebenfalls langgedienten EU-Beamtin, Stephanie Riso, geleitet wird. Eine wichtige Rolle im Barnier-Team wird dem Belgier Stefaan De Rynck zugeschrieben, der immer wieder auch Sprecherposten in der Kommission innehatte. Er soll die Verhandlungsergebnisse und -zwischenstände der Öffentlichkeit vermitteln.
Der Eindruck von HinterzimmerVerhandlungen soll unbedingt vermieden werden. „Diese Verhandlungen können nicht im Geheimen ablaufen“, sagte Barnier letzte Woche, als er erstmals seine Pläne öffentlich umriss. Im Netz soll permanent nachzulesen sein, wie es gerade um die Verhandlungen steht. Es geht wohl auch darum, anderen die Lust am Ausstieg zu verderben: „Wir müssen unseren Bürgern die Wahrheit sagen, was der Brexit bedeutet.“
In Brüssel rechnet man damit, dass die eigentlichen Verhandlungen frühestens Ende Mai losgehen. Bislang hat die EU eisern daran festgehalten, dass es keine Vorverhandlungen mit London geben darf. Nicht einmal formale Fragen sind geklärt. In Brüssel geht man indes selbstbewusst davon aus, dass die britische Delegation sich für jede Verhandlungsrunde nach Belgien wird begeben müssen. „Brüssel ist die Hauptstadt der EU, das ist der richtige Ort“, sagt ein EU-Diplomat.
Barnier hat zeitlich bereits die Daumenschrauben angezogen. Klar ist, dass Großbritannien Ende März 2019 aus der EU raus ist. Für die Verhandlungen an sich ist aber nur Zeit bis Herbst 2018. Die restlichen Monate werden benötigt, damit das Scheidungsdokument vom Europaparlament beschlossen und in den 27 Mitgliedstaaten ratifiziert wer- den kann. Die Zeit ist knapp; in Großbritannien wird schon damit geliebäugelt, die EU notfalls Hals über Kopf, also ohne belastbare Vereinbarung, zu verlassen. Barnier warnt ausdrücklich davor: „Das NoDeal-Szenario ist nicht unser Szenario.“Barnier hat auch bereits durchblicken lassen, dass er ein Drehbuch für die Verhandlungen hat. Zuerst soll über die Bedingungen für die Trennung gesprochen werden. Erst danach könne man über die gegenseitigen Beziehungen nach der Trennung reden.
Finanzielle Fragen werden dabei entscheidend sein. Barnier selbst hat bislang keine Zahlen genannt. Doch er macht deutlich, dass Großbritannien zahlen muss. Wenn ein Land austrete, „gibt es keine Bestrafung“. Es gebe auch keinen Preis für den Austritt: „Wir müssen aber unsere Rechnungen begleichen.“Er stellt auch fest, dass Großbritannien über das Austrittsdatum hinaus finanzielle Verpflichtungen hat: „Wir werden sie nicht darum bitten, auch nur einen einzigen Euro für Dinge zu bezahlen, die sie nicht mitbeschlossen haben.“
Erst danach könne es um die Gestaltung der Zukunft gehen. London will raus aus Binnenmarkt und Zollunion. Damit ist klar, dass ein Handelsabkommen geschlossen werden muss, das etwa die Frage der Zölle regelt. Das wird noch einmal Jahre dauern. Bis es steht, könnten Übergangsvereinbarungen greifen. Barnier hat deutlich gemacht, dass London sich auch im Übergang keine Rosinen herauspicken kann: „Wir werden bestimmt sein, wir werden freundlich sein, wir werden aber niemals naiv sein.“