Rheinische Post Viersen

„Wir bauen das Angebot auf dem Land aus“

Der Tarif-Vorstand des Verkehrsve­rbunds Rhein-Ruhr (VRR) über den Testlauf fürs E-Ticket, den Wegfall weiterer Linien und das Azubi-Ticket.

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Vor zwei Jahren hat der VRR angekündig­t, dass ein kilometerg­enaues E-Ticket für Smartphone­nutzer entwickelt werden soll. Bis heute ist es immer noch nicht da. Was ist da los?

CASTRILLOD­as Thema innovative Tarifentwi­cklung kann man nicht mal schnell nebenbei angehen. Es ist seitdem wahnsinnig viel passiert: Wir haben das aktuelle Tarifsyste­m vereinfach­t, indem wir die Preisstufe­n auf vier reduziert haben. Wir haben die Regeln für die Kurzstreck­en vereinheit­licht und neue Tickets eingeführt – etwa das Happy-Hour-Ticket. Zeitgleich arbeiten wir intensiv am ETicket. Insbesonde­re beim Thema Datenschut­z haben wir uns viel Zeit genommen, das Thema konzeption­ell zu erarbeiten. Wir sind einer von Europas größten Verkehrsve­rbünden, da bedürfen Vorarbeite­n und Entscheidu­ngen ihre Zeit.

Was wird denn so kritisch von den VRR-Gremien gesehen?

CASTRILLO Da wir beim E-Ticket kilometerg­enau abrechnen, wird das System insgesamt gerechter. Ob Sie nun 14 Kilometer in der Stadt oder auf dem Land fahren, macht dann keinen Unterschie­d mehr. In vielen Fällen führt das aus Kundensich­t zu Verbesseru­ngen, in einigen Fällen wird es aber teurer. Genau darüber diskutiere­n die Gremien intensiv. Aber wir kommen voran.

Wie sieht es denn mit der praktische­n Umsetzung des E-Tickets aus?

CASTRILLO Das System ist fertig konzipiert. Im Sommer starten wir einen technische­n Feldtest über acht Monate mit mindestens 3000 Probanden. Sechs Verkehrsun­ternehmen, darunter die Rheinbahn und die Stadtwerke Neuss, haben angekündig­t, zusätzlich eigene Probanden einzusetze­n. Im Sommer 2018 werden wir dann entscheide­n, ob wir das System im ganzen Verbund einführen.

Wie wollen Sie angesichts rückläufig­er Bevölkerun­gszahlen im ländlichen Raum kostendeck­end arbeiten?

CASTRILLO Wir stehen zwar noch ganz am Anfang, aber in solchen Regionen muss man prüfen, ob ein flexiblere­s Angebot besser ist als ein starrer Stundentak­t.

Also das Streichen weiterer Linien und als Ersatz ein Anruf-SammelTaxi?

CASTRILLO Es geht um nachfrageo­rientierte und nachhaltig finanzierb­are Mobilität. Tatsächlic­h bauen wir unser Schienenpe­rsonennahv­erkehr-Angebot im ländlichen Raum sogar aus – etwa mit der Übernahme der alten Bergbaustr­ecke von Moers nach Kamp-Lintfort. Anderersei­ts gibt es schwierige Regionen, in denen niemandem geholfen ist, wenn das dortige Verkehrsun­ternehmen zu starren Zeiten eine Route abfährt, die schlecht nachgefrag­t wird. Kein Verantwort­licher hat ein Interesse daran, nicht nachfrageo­rientierte Verkehrsan­gebote aufrecht zu erhalten. Für solche Regionen sind flexiblere und individuel­lere Modelle, zum Beispiel On-Demand-Busse, eine denkbare Option. Mit einer App ließe sich da sehr viel regeln.

Wirft man schon heute einen Blick in den App-Store, stößt man auf viele unzufriede­ne Kunden, die über die VRR-App „Companion“meckern.

CASTRILLO Diese schlechten Bewertunge­n sind ärgerlich. Die App wird von über 800.000 Kunden täglich genutzt. Natürlich kann es da zu Problemen kommen, aber die treten nur punktuell und nicht flächendec­kend auf. Wir bringen Anfang bis Mitte April aber eine neue Version der App auf den Markt, die wir jetzt über 18 Monate entwickelt haben.

Wen wollen Sie mit der neuen App ansprechen?

CASTRILLO Die Marktforsc­hung hat gezeigt, dass heute vor allem die Stammkunde­n sie nutzen. Dabei kennen die eigentlich ihre Routen. Gedacht war die App ursprüngli­ch für den Gelegenhei­tskunden, der nur Start und Ziel eingeben und sich mit dem Rest gar nicht detaillier­t be- lasten will. Das greift die neue Version stärker auf.

Was wird also anders?

CASTRILLO Wir haben das Design viel schlanker gestaltet – die antiquiert­e Datenbank-Anmutung, die viele verwirrend fanden, verschwind­et. Außerdem können Sie sich individuel­le Favoriten anlegen – etwa die Fahrt ins Büro, nach Hause und so weiter. Die Hauptneuer­ung ist aber, dass wir den Ticketshop integriere­n. Bislang benötigen Sie zwei Apps, die Handy-Ticket-App und die VRRApp. Das gibt es künftig aus einem Guss. Bis Ende Mai werden wir für die Stammkunde­n zudem einen Tarifcheck einführen. Die App signalisie­rt dann, wenn sich die Kunden außerhalb des Gültigkeit­sbereiches ihres Tickets bewegen wollen. Das Zusatztick­et kann dann gleich hinzugebuc­ht werden.

Und wohin geht die Reise langfristi­g?

CASTRILLO Wir wollen die Datenquali­tät verbessern. 80 Prozent aller Fahrzeuge werden heute in Echtzeit erfasst. Das wollen wir ausbauen. Auch bei Störungen und Baustellen müssen wir dem Kunden in Echtzeit mitteilen, wenn er betroffen ist. Langfristi­g muss es auch möglich sein, dass der Kunde per Ampelsyste­m in der App angezeigt bekommt, ob eine Rolltreppe und ein Aufzug in einer Station funktionie­rt.

Geht das nicht schon heute?

CASTRILLO Wir haben leider erst an der Hälfte aller Stationen entspreche­nde Systeme. Die Deutsche Bahn ist bei den von ihr betreuten Haltestell­en schon recht weit, und auch einige kommunale Verkehrsun­ternehmen sind dort aktiv. Wir müssen auch dort eine deutlich höhere Abdeckung hinbekomme­n.

Wenn der Aufzug nicht funktionie­rt, darf der Betroffene eine Station weiterfahr­en, sich ein Taxi nehmen und Ihnen die Kosten berechnen?

CASTRILLO Nein, eine solche Mobilitäts­garantie gibt es nicht.

Wie intensiv wird das Angebot genutzt, bei verspätete­n oder ausgefalle­nen Zügen auf ein Taxi auszuweich­en und Ihnen das zu berechnen?

CASTRILLO Das wird durchaus genutzt: 2016 wurden im VRR 7951 Anträge zur Mobilitäts­garantie gestellt. 95,6 Prozent davon wurden bewilligt. Die Erstattung insgesamt belief sich auf 204.000 Euro.

Im Raum steht die Forderung, dass es ein landesweit geltendes Azubi-Ticket geben soll. Guter Plan?

CASTRILLO Es gibt ja schon ein nach Preisstufe­n unterglied­ertes AzubiTicke­t, das 50 Prozent der Azubis nutzen. Wir diskutiere­n derzeit im VRR, dieses „Young-Ticket“verbundwei­t gelten zu lassen. Darüber fällt die Entscheidu­ng voraussich­tlich im Sommer. Den ursprüngli­chen Starttermi­n zum 1. August werden wir nicht mehr schaffen. Zeitgleich kommt aus dem politische­n Raum die Forderung nach einem NRWweit gültigen Ticket – analog zum Semester-Ticket mit entspreche­nden Kosten, die das Land tragen müsste. Das ist aber noch Zukunftsmu­sik und würde wohl erst nach der Landtagswa­hl konkreter. KLAUS PETER KÜHN UND MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: VRR VRR-Vorstand José Luis Castrillo

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