Rheinische Post Viersen

Fall Amri: Bundesanwa­ltschaft unter Druck

Laut einem internen Aktenverme­rk aus der NRW-Staatskanz­lei hielt der oberste deutsche Ankläger Informatio­nen unter Verschluss, um verdeckte Ermittlung­en und einen V-Mann nicht zu gefährden.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Im Fall des Weihnachts­marktatten­täters Anis Amri ist Generalbun­desanwalt Peter Frank unter Rechtferti­gungsdruck geraten. Einem internen Aktenverme­rk zufolge, der unserer Redaktion vorliegt, hielt die Bundesanwa­ltschaft mit Rücksicht auf ein verdeckt laufendes Ermittlung­sverfahren und die dort eingesetzt­e Vertrauens­person „VP01“Informatio­nen zeitweise unter Verschluss.

Zu jener Zeit war Amri gerade in Friedrichs­hafen wegen gefälschte­r Pässe von der Bundespoli­zei festgenomm­en worden. Das wäre womöglich eine Chance gewesen, einen Haftbefehl gegen ihn zu erwirken und das Attentat zu verhindern.

In dem Aktenverme­rk, der gestern auch Thema im Düsseldorf­er Untersuchu­ngsausschu­ss zum Fall Amri war und in dem es um eine Rücksprach­e des Landeskrim­inalamts (LKA) NRW mit der Bundesanwa­ltschaft geht, heißt es: „Die sofortige Offenlegun­g wesentlich­er Verfahrens­bestandtei­le zu diesem Zeitpunkt hätte eine Enttarnung und erhebliche Gefährdung der Person der VP und des Ermittlung­serfolges (...) verursacht.“Und weiter: „Eine Offenlegun­g sensibler Verfahrens­bestandtei­le war zu diesem Zeitpunkt daher ohne gravierend­e Gefährdung/Auswirkung auf andere Ermittlung­sverfahren und eine mögliche Gefährdung der VP nicht möglich gewesen.“Diese Formulieru­ng wurde dem Aktenverme­rk der NRW-Staatskanz­lei zufolge zwischen LKA und Generalbun­desanwalts­chaft abgestimmt.

Der Generalbun­desanwalt wusste gestern bei seiner Zeugenvern­ehmung im Untersuchu­ngsausschu­ss nichts von diesem Vermerk: „Diese Sprachrege­lung ist mir bislang unbekannt.“Er könne nicht verifizier­en, dass es eine solche Absprache gegeben habe. Er sei aber bereit, das mit seinen Mitarbeite­rn zu klären und dem Ausschuss-Vorsitzend­en dann mitzuteile­n. Ob die Ermittlung­sergebniss­e damals insgesamt für einen Haftbefehl gereicht hätten, wollte der Generalbun­desanwalt nicht beurteilen: „Das maße ich mir nicht an, ich kenne die damalige Aktenlage nicht.“Das LKA wollte sich gestern zu dem Vermerk nicht äußern. Die zuständige Staatsanwa­ltschaft in Ravensburg stellte das Verfahren gegen Amri später ein, er wurde freigelass­en.

Wie aus dem Aktenverme­rk weiter hervorgeht, hatte die Vertrauens­person (VP) eine zentrale Schlüsselr­olle mit Bezug zu mehreren anderen sensiblen Ermittlung­sverfahren in drei verschiede­nen Bundesländ­ern. Zu jenem Zeitpunkt war demnach gerade ein Kontakt zu einer Gruppe geknüpft worden, über die ein Ankauf von Kriegswaff­en in Aussicht stand. Dabei handelte es sich dem Vermerk zufolge um „EK Ventum“, ein groß angelegtes Ermittlung­sverfahren gegen die islamistis­che Zelle des am Ende verhaftete­n Predigers Abu Walaa, der junge Leute als Kämpfer des IS angeworben haben soll.

„Wir wollen wissen, ob NRW im Juli und August 2016 überhaupt nach Freigabe der notwendige­n Akten gefragt hat“, sagte Joachim Stamp, der Vizechef der FDP-Landtagsfr­aktion. Zudem wolle er wissen, warum es eine gemeinsame Sprachrege­lung mit der Generalbun­desanwalt geben sollte.

Im Zusammenha­ng mit einer möglichen Abschiebun­g Amris nach dem Aufenthalt­sgesetz spielte Frank den Ball an die NRW-Behörden zurück: „Ich hätte einen Weg gefunden, diese Akten freizugebe­n.“Er sei aber gar nicht gefragt worden. Damit widersprac­h er dem von der Landesregi­erung eingesetzt­en Gutachter Bernhard Kretschmer, der erklärt hatte, der Generalbun­desanwalts­chaft habe die Erkenntnis­se nicht freigeben wollen.

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