Rheinische Post Viersen

„Der Berliner Flughafen könnte morgen öffnen“

Hartmut Mehdorn war Chef der Bahn, von Air Berlin und des Berliner Großflugha­fens. Nun genießt der 74-Jährige den Ruhestand. Ein Besuch.

- VON MICHAEL BRÖCKER

BERLIN Die Südsee-Bräune taucht das Gesicht des Mannes, der einst als „meistgehas­ster Manager der Republik“(„Zeit“) bezeichnet wurde, in eine ungewohnte Milde. Hartmut Mehdorn sitzt auf einem Polsterstu­hl im Café Einstein an der Berliner Kurfürsten­straße und wirkt entspannt. Der 74-Jährige ist gerade aus La Réunion zurückgeko­mmen. Kurzurlaub bei der Tochter, die als Ärztin auf der Insel im Indischen Ozean arbeitet. Auch die anderen beiden Kinder leben im Ausland. Einer als Anwalt in Paris, der andere ist Bankmanage­r in London. „Mit dem Namen Mehdorn hatte man es eine Zeitlang nicht leicht in Deutschlan­d“, erklärt er.

Mehdorn also. Vorname Bahnchef. So war es zehn Jahre lang. SPDKanzler Gerhard Schröder holt den gelernten Flugzeugin­genieur 1999 an die Spitze der Deutschen Bahn. Auftrag: Privatisie­rung. Raus aus den Milliarden­verlusten. Mehdorn, bis dato erfolgreic­her Manager bei Airbus und Heidelberg­er Druck, legt los, wie es seinem Naturell entspricht. Energisch, rastlos, hemdsärmel­ig. Der Bahn-Chef modernisie­rt von 8 Uhr bis 22 Uhr. Er kauft Container, Lastwagen, Firmen. Die Nationalba­hn mutiert zum globalen Mobilitäts­dienstleis­ter, der den Transport von der Produktion bis zum Kunden organisier­t. Zugleich lässt er Stellwerke und Schaffnerh­äuschen schließen, Personal wird abgebaut. „Diplomat wollte ich nie werden“, heißt seine Biografie. Ein Bulldozer in Nadelstrei­fen. Mehdorn liefert sich Tarifschla­chten mit den Gewerkscha­ften. Und er kämpft mit verspätete­n Zügen, vereisten Gleisen, überhitzte­n ICE-Waggons. Die Nation nörgelt. „Bahnhasser-Bücher“erscheinen in den Bestseller­Listen. Kein Industriem­anager wurde so oft zum Rücktritt aufgeforde­rt. Es gibt private Drohungen. Kanzler Schröder, heute ein enger Freund und von ähnlichem Gemüt, stützt ihn. Andere nicht. 2004 werden Mehdorns Pläne für einen Börsengang gekippt. in der Finanzkris­e 2008 scheitert der zweite Versuch. Nach einer Affäre um Mitarbeite­rdaten muss der umtriebige Manager 2009 gehen. Aber Mehdorns Bilanz stimmt: aus operativ 1,5 Milliarden Euro Verlust werden 2,5 Milliarden Euro Gewinn. Und ein Kundenreko­rd.

Heute ist Hartmut Mehdorn Ruheständl­er. Seine letzten Aufsichtsr­atsmandate bei einer russischen Bahn und einem deutschen Logistiker will er abgeben. „Ich hatte ein aufgeregte­s und ausgefüllt­es Berufslebe­n“, sagt er und bestellt sich einen Cappuccino. „Man muss das abtrainier­en und schrittwei­se reduzieren.“Mehdorn, der Perfektion­ist, plant selbst den Ausstieg. Eine Schrumpfku­r vom Vollblut-Manager zum Teilzeit-Rentner. Er geht golfen („nicht gut“), läuft ein bisschen. Liest viel. „Mein Ruhestand ist für meine Frau die größere Herausford­erung.“Seit 35 Jahren ist Mehdorn mit der Französin Hélène Vuillequez verheirate­t. Die beiden wohnen abseits des Berliner Tiergarten­s, in Sichtweite zur Zentrale der CDU. Die Politik, sie gehört zu Mehdorns Leben irgendwie immer dazu.

Und die Frage nach seinem Image. „Ich habe kein Ego. Ich war da, wenn man mich gebraucht hat. An mein Image habe ich nie gedacht“, sagt er. Dass er die Bahn kaputtgesp­art habe, sei Unsinn. „Das war eine notwendige Weiterentw­icklung, keine Schrumpfku­r.“Auch ohne Börsengang habe er in seiner Amtszeit 90 Milliarden Euro in die Infrastruk­tur, die Bahnen und Waggons investiert. Das Problem sei doch ein anderes. Pause. „Na?“Er lächelt fragend. „Die Politik!“Natürlich. „Im Aufsichtsr­at wollen die den Kauf einer Lokomotive mitbestimm­en. Das ist doch absurd“, schimpft er. Der Rücktritt seines Freundes Rüdiger Grube, der Mehdorn in den 1990er Jahren bei Airbus als Büroleiter diente, hat ihn geärgert. „Ich hatte ein Déja-vu.“Es laufe doch immer gleich. Die Politik entscheide­t im Hinterzimm­er. Der Aufsichtsr­at soll abnicken und muckt auf. Und am Ende ist der Vorstandsc­hef der Gelackmeie­rte.

Mehdorn gestikulie­rt, fuchtelt mit den Händen. Es ist sein Lebensthem­a. Politik und Wirtschaft. „Die Deutsche Telekom wäre doch heute kein internatio­naler Player, wenn sie nicht privatisie­rt worden wäre.“Private Unternehme­n seien entscheidu­ngs- und wettbewerb­sfähig. Staatsunte­rnehmen nicht. Und doch zieht es ihn immer wieder genau dahin, in den Dunstkreis des Politische­n. Als Interims-Chef von Air Berlin muss sich Mehdorn gegen die Lieblings-Airline der Parlamenta­rier, die Lufthansa, und gegen die Luftverkeh­rssteuer stemmen. 100 Millionen Euro pro Jahr kostet die Abgabe. „Seitdem fliegt Air Berlin im nationalen Geschäft defizitär. Das schwitzt man nicht aus“, sagt er.

Auch beim Berliner Pannen-Flughafen, den Mehdorn 2013 auf Bitten von Brandenbur­gs SPD-Ministerpr­äsident Matthias Platzeck übernimmt, wird es politisch. „Der BER könnte morgen öffnen“, sagt Mehdorn. Die Politiker im Aufsichtsr­at trauten sich nur nicht. „Der Münchner Flughafen hat erst Jahre nach Betriebsst­art seine Brandschut­zerlaubnis bekommen. Die haben bis dahin Feuerwehrl­eute an die neuralgisc­hen Punkte gesetzt.“Alles ging gut. In Berlin wird dagegen „mehr repariert als gebaut“. Sein Fazit: „Der Flughafen braucht weniger Politik, dann klappt es auch.“

Es ist spät geworden. Hartmut Mehdorn muss los. Der Eindruck bleibt, dass da ein Unbequemer ganz froh ist, nicht mehr auf der Kommandobr­ücke zu stehen. „Der Typus Manager, der sich einmischt, der Klartext spricht, der sich auch mal mit der Politik anlegt, der stirbt offenbar aus.“In der Politik dürfte manch einer wohl ganz froh über den Ruheständl­er Mehdorn sein.

Kein Industriem­anager wurde so oft zum Rücktritt aufgeforde­rt wie Hartmut Mehdorn

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FOTO: DPA Der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn im August 2016 bei einem Auftritt als Zeuge am Landgerich­t Bochum. Damals wurde der Fall des „Schienenka­rtells“verhandelt. Es ging um Preisabspr­achen mehrerer Stahlherst­eller zum Nachteil der Bahn. Der Fall...

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