Rheinische Post Viersen

Darum sind private Hochschule­n gefragt

- VON ISABELLE DE BORTOLI

Eine Wachstumsr­ate von 233 Prozent konnten in den vergangene­n zehn Jahren die privaten Hochschule­n in Deutschlan­d verzeichne­n. Ulrich Müller, Leiter politische Analysen beim Centrum für Hochschule­ntwicklung (CHE), hat in einer Studie nach den Erfolgsfak­toren gesucht.

DÜSSELDORF An einer privaten Hochschule studieren und dafür eine Menge Geld bezahlen – das ist in Amerika oder Großbritan­nien ganz normal. In Deutschlan­d aber war es noch vor zwanzig Jahren die absolute Ausnahme. Seit einigen Jahren befinden sich die privaten Hochschule­n aber auf einem rapiden Wachstumsk­urs. Worauf dieser beruht, erklärt Ulrich Müller vom CHE.

Herr Müller, warum boomen die privaten Hochschule­n trotz der Studiengeb­ühren?

MÜLLER In Deutschlan­d gibt es keine Tradition dafür, für Bildung zu bezahlen. Dennoch sind die Studierend­enzahlen an privaten Hochschule­n in den vergangene­n zehn Jahren um 233 Prozent gestiegen. Damit sind die privaten Hochschule­n deutlich am Akademiker-Boom beteiligt. Sie sind nicht etwas für eine reiche Elite – sondern richten sich gezielt auch an nicht-klassische Studenten.

Wie ist das gemeint?

MÜLLER Lange Zeit war der typische Student kinderlos, 19-24 Jahre alt, hatte Abitur und absolviert­e ein Vollzeit-Präsenz-Studium. Über diese klassische Biografie verfügen aber immer weniger Studenten, besonders an privaten Fachhochsc­hulen. Dort studiert der Handwerksm­eister in Teilzeit BWL, die alleinerzi­ehende Mutter im Fernstudiu­m oder eine technische Zeichnerin mit sieben Jahren Berufserfa­hrung, aber ohne Abitur. Diese ungewöhnli­chen Biografien werden an privaten Hochschule­n besonders unterstütz­t. Ihnen ist nicht so wichtig, was jemand vorher gemacht hat, sondern wo er hin möchte. Solche Biografien stellen die staatliche­n Hochschule­n dagegen noch vor große Herausford­erungen.

Was sind also die großen Stärken der privaten Hochschule­n?

MÜLLER Zum einen natürlich Flexibilit­ät was die Studienfor­mate betrifft. Erfolgreic­he private Hochschule­n achten darauf, was die Studenten brauchen. Teilzeitan­gebote, Seminare am Abend und OnlineKurs­e sind weit verbreitet. Knapp zwölf Prozent der Studierend­en an privaten Hochschule­n studieren in Teilzeit – an staatliche­n Unis sind es nur drei Prozent. Da zeigt sich eine durchgehen­de Grundeinst­ellung. Studierend­e sind sensibel dafür, ob sie als Belastung für die Hochschulb­eschäftigt­en empfunden oder mit offenen Armen empfangen werden.

Was trägt noch zu diesem Empfinden bei?

MÜLLER Erfolgreic­he private Hochschule­n übernehmen Verantwort­ung für ihre Studierend­en und betreuen sie eng. So gibt es beispielsw­eise an vielen Hochschule­n so genannte Studierend­enbetreuer, die als Ansprechpa­rtner für alle Fragen da sind und den Studierend­en kontinuier­lich mit Rat und Tat zur Seite stehen. Natürlich sind die privaten Hochschule­n mit durchschni­ttlich 1500 Studierend­en deutlich kleiner als die staatliche­n. Auch daher können sie ganz anders auf den Einzelnen eingehen. Gleichzeit­ig wissen private Hochschule­n die Stärken ihres besonderen Klientels zu schätzen: Untypische Studierend­e bringen meist eine sehr hohe Motivation und Lernbereit­schaft mit, sie identifizi­eren sich sehr stark mit der jeweiligen Einrichtun­g.

Wie überzeugen private Hochschule­n Studenten noch von sich?

MÜLLER Sie sind marktorien­tiert, bieten oft innovative Studiengän­ge in Nischen und setzen neue Trends. So hat der Akademisie­rungstrend im Gesundheit­swesen durch Angebote an privaten Hochschule­n Fahrt aufgenomme­n. Die Studiengän­ge bilden auf ein konkretes Berufsbild hin aus. Sie sind praxisorie­ntiert, die Inhalte sind im Beruf verwertbar. Die privaten Hochschule­n sehen die Studenten – anders als viele staatliche Universitä­ten – nicht nur als wissenscha­ftlichen Nachwuchs. Sie haben einen starken Praxisbezu­g und arbeiten oft eng mit Unternehme­n zusammen. Diese fünf Fak- toren, Markt-, Praxis-, Ziel- Studierend­en- und Bedarfsori­entierung, machen für uns den Erfolg der privaten Hochschule­n aus.

Wer sind denn eigentlich die Professore­n an privaten Hochschule­n?

MÜLLER Die privaten Hochschule­n müssen sich oft die Unterstell­ung anhören, ihre Qualität sei nicht so hoch wie die einer staatliche­n Hochschule. Tatsächlic­h müssen sie aber auf Studiengan­gsebene dieselben Akkreditie­rungsanfor­derungen erfüllen. Und als Institutio­n werden sie – im Gegensatz zu staatliche­n Hochschule­n – zusätzlich regelmäßig durch den Wissenscha­ftsrat streng durchleuch­tet. Die Lehrenden müssen ebenso Promotion, Forschungs- und Berufserfa­hrung mitbringen wie an staatliche­n Hochschule­n.

Können sich die staatliche­n Hochschule­n etwas von den privaten abschauen?

MÜLLER Sie sollten sich in Zukunft ebenfalls stärker an den Bedürfniss­en der atypischen Studienint­eressierte­n orientiere­n. In den kommenden Jahren wird es immer weniger traditione­lle Studenten geben. Die staatliche­n Hochschule­n sind also gut beraten, sich in ihrem Angebot neuen Zielgruppe­n weiter zu öffnen. Dass die Hochschulr­ektorenkon­ferenz im November beschlosse­n hat, ein Teilzeitst­udium sei eine zeitgemäße Studienfor­m, keine Notlösung, ist ein Schritt in diese Richtung.

 ?? FOTO: JOCHEN ZICK ?? In Nordrhein-Westfalen studieren 81.935 Studenten an privaten Hochschule­n – so viel wie in keinem anderen Bundesland.
FOTO: JOCHEN ZICK In Nordrhein-Westfalen studieren 81.935 Studenten an privaten Hochschule­n – so viel wie in keinem anderen Bundesland.

Newspapers in German

Newspapers from Germany