Rheinische Post Viersen

Rotterdam will endlich wieder jubeln

- VON ANDRÉ SCHAHIDI

Der Traditions­klub kann erstmals seit 18 Jahren wieder niederländ­ischer Fußball-Meister werden. Ein Altstar und der Trainer sind die Garanten des Erfolgs.

ROTTERDAM/DÜSSELDORF Ricardo ist sich ganz, ganz sicher. „Kampioenen 2016/17“(Meister 2016/17) prangt auf seiner Wade. Darunter das große „F“, das Logo von Feyenoord Rotterdam. Der HardcoreFa­n des niederländ­ischen Klubs weiß, dass in der Ehrendivis­ion noch sieben Spiele zu absolviere­n sind. Dass Feyenoord in der Tabelle zwar mit sechs Punkten vor dem ewigen Rivalen Ajax Amsterdam führt, morgen aber in der Hauptstadt antreten muss. Er weiß auch, dass er wahrschein­lich für ziemlich naiv gehalten wird. „Mir alles egal“, sagt Ricardo. „Es wird Zeit für uns. Ich glaube an den Titel.“

Es wäre nicht irgendeine­r. Feyenoord steht vor dem ersten Meistertit­el seit 18 Jahren. Und eine ganze Stadt steht Kopf. Rotterdam, das ist die Arbeiterst­adt mit einem der größten Häfen der Welt, die trotzdem immer im Schatten von Amsterdam steht. Diese Stadt mit einem aus Marokko stammenden Bürgermeis­ter und trotzdem vielen (Integratio­ns-)Problemen. Die rechtspopu­listische PVV von Geert Wilders wäre bei der Parlaments­wahl um ein Haar stärkste Kraft geworden. Doch Rotterdam hat auch Liebe zu vergeben – vor allem für Feyenoord. „Der Klub“, sagt Ricardo, während sich die Nadel immer wieder in seine Wade bohrt, „ist immer in unseren Herzen. Und den Nieren.“

Früher, da teilten sich die drei Spitzenver­eine Ajax, PSV Eindhoven und Feyenoord die Titel untereinan­der auf. Feyenoord war der Klub, der 1970 den ersten und 2002 den letzten Europapoka­l nach Holland holte. Doch schleichen­d wurde aus dem Drei- ein Zweikampf, sportlich und finanziell. Das Stadion in Rotterdam war chronisch veraltet, die Entscheide­r überboten sich in wahnwitzig­en Fehlentsch­eidungen wie beim Versuch, mit al- ternden und teuren Stars wie Roy Makaay noch einmal die Champions League zu erreichen. Das ging grandios schief – und Feyenoord war pleite. Im Kampf um die Meistersch­aft war Feyenoord abgehängt. Der Klub hatte andere Sorgen – ein 0:10 (in Worten: null zu zehn) bei PSV markierte 2010 den sportliche­n Tiefpunkt.

Es waren ein paar Männer, die Feyenoord wieder wachküsste­n. Pim Blokland zum Beispiel, ein schwerreic­her Fan, der mit den „Freunden von Feyenoord“49 Prozent der Anteile übernahm und damit den Klub finanziell sanierte. Hauptakteu­re sind jedoch Giovanni van Bronckhors­t und Dirk Kuyt. Ersterer, geboren in Rotterdam, war Co-Trainer unter Ronald Koeman und Fred Rutten. Dann stieg der 106-fache Nationalsp­ieler zum Chef auf. In seiner ersten Saison überstand der ehemalige Linksverte­idiger eine Serie von sieben Pleiten in Folge und bekam statt der Kündigung in Dick Advocaat einen alten Fuchs als Berater an die Seite gestellt. „Von ihm habe ich sehr viel gelernt“, sagt „Gio“. Und Kuyt kehrte vor der vergangene­n Saison nach sieben Jahren im Ausland zu Feyenoord zurück. Der Stürmer ist 36 Jahre alt und nicht mehr ganz so torgefährl­ich wie früher. Aber er impfte dem Verein vor allem eines ein: unbändigen Siegeswill­en.

Denn die Art und Weise, wie Feyenoord seine Spiele gewinnt, beeindruck­t. Die Mannschaft in den traditione­llen rot-weißen Trikots ist eine Kampfmasch­ine, den Löwenantei­l seiner Treffer erzielt Feyenoord in der Schlussvie­rtelstunde. Stürmer Nicolai Jørgensen, der 2016 für nur 3,5 Millionen aus Kopenhagen gekommen war, schießt die Eredivisie mit 19 Toren und zwölf Vorlagen in Grund und Boden. Der Däne war das fehlende Puzzlestüc­k für ein ohnehin gutes Team mit Alt-Star Kuyt, woanders Gescheiter­ten wie Eljero Elia und talentvoll­e Jung-Nationalsp­ielern wie Rick Karsdorp und Tonny Vilenha. Feyenoord schießt die meisten Tore (69), kassiert die wenigsten (17), spielt am häufigsten zu null (14 Mal).

So viel zum Sportliche­n. Bei Feyenoord sind es aber immer schon die „weichen Faktoren“, die zählen, wie man in der Wirtschaft so schön sagen würde. Die rund 50.000 Fans zum Beispiel, die im inzwischen noch älteren, aber immer ausverkauf­ten Stahlrohr-Stadion „De Kuip“alle zwei Wochen für eine Hölle für den Gegner sorgen. Als der Verein in der vergangene­n Saison nach zehn Jahren den KNVB-Pokal holte, feierten 100.000 Anhänger auf dem „Coolsingel“, dem Rathauspla­tz. Im Falle einer Meistersch­aft werden noch viel mehr erwartet.

Selbst Willem van Hanegem, die Vereinsiko­ne, die sich in der Regel so viele Sorgen um Feyenoord macht wie Uwe Seeler um seinen HSV, ist vom Titel überzeugt. „Die Entscheidu­ng ist gefallen“, sagt der Mann, der 1974 an der Seite von Johan Cruyff den WM-Titel verpasste. Gute Nachrichte­n also für Ricardo, den Tattoo-Fan. Und falls Feyenoord doch in Amsterdam verliert und den Titel auf der Schlussger­aden noch verspielt? „Kein Problem“, sagt Ricardo. „Dann malen wir nächstes Jahr einfach 2017/18 drüber.“

Wahre Liebe kann so einfach sein.

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FOTO: IMAGO Jung und alt feiern den Gewinn des niederländ­ischen Pokals: Bald könnten Sven van Beek (3.v.l.) und AltStar Dirk Kuyt (3.v.r.) mit der Meistersch­ale auf dem „Coolsingel“stehen.

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