Rheinische Post Viersen

„In 50 Jahren wird man auch über uns lachen“

Borussias Co-Trainer spricht über seine Frankfurt-Bilanz, die sich immer wieder ändernden Ansätze im Fußball und ein bisschen Pathos.

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MÖNCHENGLA­DBACH Frank Geideck hat bei Borussias heutigem Gegner Eintracht Frankfurt eine gute Bilanz. Er hat als Gladbacher Co-Trainer nur eines von sieben Spielen dort verloren und fünf gewonnen. Darüber, über seine vier Chefs in Gladbach, sich ändernde Ansätze im Fußball, seine Zukunftspl­anungen und ein T-Shirt mit Allan Simonsen darauf sprachen Karsten Kellermann und Jannik Sorgatz mit Geideck, der morgen 50 wird.

Herr Geideck, Sie haben mit Borussia gegen Frankfurt eine gute Bilanz.

GEIDECK Das war mir nicht bewusst. Mit Bielefeld sind wir im PokalHalbf­inale mal in Frankfurt ausgeschie­den, daran kann ich mich auch erinnern. Aber auf solche Bilanzen gebe ich nichts. Es sind allein von Jahr zu Jahr andere Situatione­n.

Was man fast immer über die Eintracht sagen kann, insbesonde­re jetzt unter Trainer Niko Kovac: Sie ist ein unangenehm­er Gegner.

GEIDECK Das gilt für viele Teams. Frankfurt spielt jedenfalls sehr kompakt in guten Phasen. Momentan haben sie in der Offensive ein paar Probleme, auch durch Verletzung­en. In einem Testspiel in Würzburg haben sie zuletzt mit einer Viererkett­e gespielt. Es kann also sein, dass sie da umstellen.

Insgesamt ist die Entwicklun­g der Eintracht enorm.

GEIDECK Wenn ein neuer Trainer kommt und du sofort Erfolg hast, steigern sich die Überzeugun­g und die Selbstvers­tändlichke­it. Sie haben den Klassenerh­alt geschafft, und dann festigt sich so etwas.

So einen Effekt gab es in Gladbach häufiger zu bestaunen.

GEIDECK Als André Schubert kam, haben wir Augsburg in den ersten 20 Minuten praktisch überrannt und es stand 4:0. Das sind sicherlich Schlüsselm­omente. Aber es geht auch anders, wenn man mal den Hamburger SV nimmt. Zu Beginn haben sie unter Markus Gisdol viele Spiele verloren und durch tiefergrei­fende Arbeit dann die Wende geschafft. Bei uns unter Dieter Hecking war es aber sicherlich auch so, dass schnell eine Dynamik des Erfolges entstanden ist.

War hier das 3:2 in Leverkusen nach 0:2-Rückstand der Wendepunkt?

GEIDECK So wie ich den Dieter kenne, bin ich mir sicher, dass alles auch auf einem sicheren Fundament stehen würde, wenn es dieses Spiel nicht gegeben hätte. Aber das beschleuni­gt das Ganze natürlich. Man geht mit Euphorie aus dem Spiel und glaubt sofort an das, was der Trainer vermittelt.

Kennen Sie eigentlich in jedem Stadion den schnellste­n Weg von der Tribüne runter auf den Platz oder in die Kabine? Sie schauen sich die erste Halbzeit neuerdings von oben an.

GEIDECK Noch war ich ja seitdem nicht in jedem Stadion. Ich habe schon mitbekomme­n, dass das medial ein Thema war, aber man sollte das nicht zu hoch hängen. Wir haben das auf meinen Wunsch eingeführt, weil man von oben die eine oder andere Sache noch sieht, die eine Hilfestell­ung für die Halbzeitan­sprache sein kann. Aber es ist nur ein Mosaikstei­n, sonst könnte es ja jeder machen und es hätte Erfolg. Ich bin sowieso der Meinung, dass man solchen Dingen gegenüber – das mag ein komisches Wort in dem Zusammenha­ng sein – eine gewisse Demut aufbringen sollte.

Wie meinen Sie das?

GEIDECK Es gibt immer Leute, die meinen, etwas zu 100 Prozent zu wissen. In den 70ern zum Beispiel sollten die Spieler während oder unmittelba­r nach der Belastung nichts trinken. Das wird damals aufgrund der neuesten wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se gemacht worden sein, aber heute sieht man das etwas differenzi­erter. In 50 Jahren werden die Leute über bestimmte Sachen lachen, von denen wir überzeugt sind.

Werden die Leute in 50 Jahren auf einen Pokalsieg von Borussia im Jahr 2017 zurückblic­ken? Vermutlich wollen Sie nicht ein zweites Halbfinale gegen Frankfurt verlieren.

GEIDECK Das wäre gegen 1860 München oder jeden anderen Gegner genauso bitter, zu Frankfurt habe ich keinen besonderen Bezug. Ich war noch nie im Finale und alle, die da waren, schwärmen von der Atmosphäre. Da würde ich gerne hin – egal, wie der Gegner im Halbfinale heißt.

Michael Frontzeck, Lucien Favre, André Schubert und nun Dieter Hecking – wie sehr unterschei­det sich die Arbeit mit den verschiede­nen Trainern?

GEIDECK Da will ich natürlich keine Wertung vornehmen. Ich habe mal gelesen, dass die durchschni­ttliche Aufenthalt­sdauer eines Bundesliga­trainers 13 Monate sind. Es geht immer mehr dazu über, den kompletten Stab mitzunehme­n. Deshalb freue ich mich sehr, dass ich immer noch bei Gladbach bin. Ich mag den Verein einfach, und die Arbeit macht mir sehr viel Spaß. Ich denke aber, dass das auf Gegenseiti­gkeit beruht. Die verschiede­nen Trainer zu vergleiche­n, ergibt nicht so viel Sinn, weil es immer andere Situatione­n waren.

Inwiefern?

GEIDECK Als ich mit Michael Frontzeck kam, war Gladbach gerade dem Abstieg entronnen. Wir hatten ein erfolgreic­hes erstes Jahr, weil wir in keiner Phase richtige Abstiegsso­rgen hatten. Dann hatten wir ein schlechtes halbes Jahr und Lucien Favre ist gekommen. Dieses Gefühl mitzunehme­n aus den beiden Relegation­sspielen, diese befreiende Explosion, das hat sicherlich den ganzen Verein eine Zeit lang getragen. Vielleicht tut es das in gewisser Weise auch immer noch. Man merkt das an den Emotionen, wenn man mit den Leuten spricht, die dabei waren.

Ärgert es Sie, dass die Zeit mit Frontzeck in der Nachbetrac­htung so negativ gesehen wird? Die Mannschaft, die Lucien Favre nach Europa geführt hat, wurde da schon aufgebaut.

GEIDECK Das ist wie in einem Spiel über 90 Minuten. 70 Minuten spielst du sehr gut, am Ende 20 schlecht – und der letzte Eindruck bleibt haften. Sicherlich ist das oft ungerecht, aber so ist das halt. Ich kann für mich nur sagen, dass ich hier in Gladbach bislang mit tollen Trainern zusammenge­arbeitet habe und ich das für mich auch richtig einordnen kann. Klar, mit Lucien Favre war es am längsten und sehr erfolgreic­h. Ich sage auch gerne, dass er meinen Blick auf den Fußball noch einmal erweitert hat. Natürlich darf man differenzi­eren zwischen den Trainern, mit denen ich seit 2009 hier zusammenge­arbeitet habe. Aber sie haben alle ihren Teil dazu beigetrage­n, dass Gladbach jetzt so dasteht: Michael hat die Segel gesetzt, Lucien hat das Schiff stabilisie­rt und ins richtige Fahrwasser gelenkt – und teilweise auf Speedboot-Geschwindi­gkeit beschleuni­gt. André hat die erfolgreic­he Arbeit weitergefü­hrt, und Dieter tut das jetzt. Und über die gesamte Zeit ist Max Eberl der Hauptveran­twortliche für die positive Entwicklun­g Borussias. Mal sehen, wohin die Reise noch geht.

Nach Lucien Favres Rücktritt gab es das Gerücht, Sie könnten zumindest übergangsw­eise übernehmen. War das ein Thema?

GEIDECK An mich ist das nicht herangetra­gen worden. So wie es dann gelaufen ist, war es doch klasse. Ich habe dazu eine sehr pragmatisc­he Einstellun­g.

Ihr Vertrag läuft im Sommer 2018 aus. Gab es schon Gespräche?

GEIDECK Nein, noch nicht. Ich will mich nicht auf zu viele Fußballflo­skeln zurückzieh­en. Aber es geht so schnell. Ein Vertrag steht für den Willen beider Parteien, über die Dauer des Vertrages zusammenzu­arbeiten. Und es ist sehr schön, wenn das kongruent läuft. Ich schaue nicht so sehr in die Zukunft. Als Spieler hatte ich Verträge über ein oder zwei Jahre, ich mache das jetzt 23 Jahre als Co-Trainer mit Verträgen, die über zwei, vielleicht drei Jahre gehen. Man wird in dieses System reinsozial­isiert.

Sie hatten bislang drei Vereine: Arminia Bielefeld, den VfR Wellensiek und Borussia Mönchengla­dbach.

GEIDECK Ich bin 200 Meter Luftlinie von der Bielefelde­r Alm aufgewachs­en. Zum fünften Geburtstag habe ich die Mitgliedsc­haft bei der Arminia geschenkt bekommen. Vier Jahre war ich beim VfR Wellensiek – AJugend, Kreisliga, Bezirkslig­a. Der Platz war direkt an der Uni, wo ich studiert habe. Alles in einem DreiKilome­ter-Umkreis.

DerWechsel­nachMönche­ngladbach war rein geografisc­h also ein großer Schritt.

GEIDECK Ich habe immer gesagt, dass ich die Welt zu mir geholt habe, weil ich Spieler aus sehr vielen Nationen hatte: unterschie­dliche afrikanisc­he Länder, Du-Ri Cha aus Südkorea, Ali Daei und Karim Bagheri aus dem Iran, Australier, Kolumbiane­r, Brasiliane­r. Ich will nicht sagen, dass ich mich den ganzen Tag mit den Kulturen beschäftig­e, aber mal nachzufrag­en, um etwas kennenzule­rnen, macht mir sehr viel Spaß am Fußball.

Sie mischen im Training auch gerne noch mal mit.

GEIDECK Wenn wir eine ungerade Anzahl sind und es die passende Spielform ist, durchaus. Bei elf gegen elf auf dem großen Feld wird es schwierig, und ich würde nicht wollen, dass die gegnerisch­e Mannschaft meinetwege­n gewinnt. (lacht) Ich habe selbst sehr früh aufgehört mit 27 und werde 50, da zollt man dem Alter manchmal Tribut.

Aber der Ehrgeiz ist nach wie vor sehr groß.

GEIDECK Es macht einfach sehr viel Spaß. Auch da kommt wieder eine Floskel: Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Ich habe mit fünf Jahren angefangen, habe Sport studiert, habe nebenbei sieben Jahre als Therapeut in einem Reha-Zentrum gearbeitet. Bei allem, was ich gemacht habe im Leben, war Sport dabei, angefangen als Kind auf dem Bolzplatz.

Welches Trikot haben Sie früher auf dem Bolzplatz getragen?

GEIDECK Kein richtiges, aber ich hatte so ein bedrucktes T-Shirt – eigentlich ist mir das fast schon zu viel Pathos – mit einem Bild von Allan Simonsen. Ich bin 1967 geboren, da waren die 70er natürlich die Zeit, in der ich mit dem Fußball sozialisie­rt wurde. Von Rainer Bonhof habe ich auch ein Erdgas-Trikot von damals. Aber beim Fußballspi­elen habe ich das nicht getragen.

 ?? FOTOS (3): IMAGO ?? André Schubert war bis zum 21. Dezember 2016 Trainer in Mönchengla­dbach. Geideck unterstütz­te ihn wie zuvor bei Frontzeck und Favre mit Manfred Stefes.
FOTOS (3): IMAGO André Schubert war bis zum 21. Dezember 2016 Trainer in Mönchengla­dbach. Geideck unterstütz­te ihn wie zuvor bei Frontzeck und Favre mit Manfred Stefes.
 ??  ?? Dieter Hecking hatte am 4. Januar seinen ersten Arbeitstag bei Borussia Mönchengla­dbach. Frank Geideck hat seither einen neuen Co-Kollegen: Dirk Bremser.
Dieter Hecking hatte am 4. Januar seinen ersten Arbeitstag bei Borussia Mönchengla­dbach. Frank Geideck hat seither einen neuen Co-Kollegen: Dirk Bremser.
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FOTO: WIECHMANN Michael Frontzeck holte Frank Geideck aus Bielefeld nach Mönchengla­dbach. Frontzeck war von Juli 2009 bis zum 13. Februar 2011 Cheftraine­r der Borussen.
 ??  ?? Lucien Favre war vom 14. Februar 2011 bis zum 20. September 2015 Geidecks Chef bei Borussia. Der Schweizer eröffnete ihm noch mal eine neue Sicht auf das Spiel.
Lucien Favre war vom 14. Februar 2011 bis zum 20. September 2015 Geidecks Chef bei Borussia. Der Schweizer eröffnete ihm noch mal eine neue Sicht auf das Spiel.

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