Wikipedia-Eintrag statt Hausarbeit
An der Universität Heidelberg können Studenten für einen Wikipedia-Eintrag einen Leistungsnachweis bekommen.
HEIDELBERG Wenn man im Browser den Namen Langdon Winner eingibt, erscheint an erster Stelle ein Wikipedia-Eintrag über den USamerikanischen Technik-Philosophen. Er ist sogar als „lesenswert“ausgezeichnet. Verfasst hat diesen Eintrag Daniel Stil, Philosophieund Geschichtsstudent der Universität Heidelberg. Anstatt wie üblich eine Hausarbeit zu schreiben, entschied Stil sich im Rahmen des Seminars „(Schreib-)Maschinen und Gesellschaft: Philosophische und soziologische Perspektiven auf Neue Medien und ihre Technik“für einen Eintrag in der Online-Enzyklopädie.
Die Studenten beschäftigen sich auf diese Weise aktiv mit Wikipedia und helfen auf wissenschaftlicher Basis bei der Weiterentwicklung mit. „Dabei wird vor allem die Diskussionsfähigkeit und Textkompetenz der Studierenden gefördert“, sagt Philosophiedozent Christian Vater, der das Seminar zusammen mit Friederike Elias vom Institut für Soziologie angeboten hat.
Denn bis ein Artikel letztendlich in der Online-Enzyklopädie Wikipedia veröffentlicht wird, müssen die Studenten erst einmal den Umgang mit dieser lernen. „Und zwar vom Bedienen der Software bis zur Strukturierung“, erklärt Vater. Danach beginnt die Schreibphase, bis der Autor die erste Version des Eintrags zur Diskussion freigibt. Der Artikel wird dann einem Peer-Review unterzogen, bei dem die WikipediaCommunity über den Artikel diskutiert, ihn kommentiert und verbessert.
In diesem Prozess sieht Stil eine klare Stärke: „Bei einer klassischen Hausarbeit gebe ich einen Text ab, auf dessen Beurteilung ich dann kaum noch einen Einfluss habe. Bei meinem Wikipedia-Beitrag konnte ich stattdessen immer wieder rea- berg konnten bereits 2012 ein Blockseminar belegen, in dem sie archäologische Artikel für die Veröffentlichung in Wikipedia verfasst haben. Das Seminar war Teil der Pilotphase des Hochschulprogrammes. Seitdem haben bereits 37 Lehrveranstaltungen mit wissenschaftlichem Bezug zu Wikipedia an 15 Universitäten in ganz Deutschland stattgefunden.
Wikipedia wurde 2001 als frei verfügbares Onlinelexikon gegründet. Allein in der deutschsprachigen Wikipedia gibt es momentan rund zwei Millionen Artikel, an denen über 20.000 aktive Benutzer nach dem Prinzip des kollaborativen Schreibens arbeiten. Viele davon sind Studierende wie Daniel Stil, Doktoranden aber auch Schüler und Lehrer.
Obwohl die Wikipedia-Artikel laut Vater eine „hohe fachliche Qualität“aufweisen und ihr Inhalt oft mit Quellenangaben belegt ist, sind sie nicht zitierfähig. Das liegt vor allem an der Anonymität der Autoren. Grundsätzlich kann jeder, der über einen Internetanschluss verfügt, ganze Beiträge verfassen und andere verändern oder ergänzen. Das Anlegen eines Benutzerkontos erfordert keine persönlichen Daten, lediglich ein Benutzername und ein Passwort werden benötigt. „Dadurch kann die Identität und fachliche Qualifikation des Autors nicht festgestellt werden“, erklärt Vater.
Mit seinen Seminaren – das kommende ist übrigens schon überbelegt – möchte Vater einen offenen, professionellen aber auch kritischen Umgang mit Wikipedia unterstützen. Auch Daniel Stil weiß die Arbeit der aktiven Wikipedia-Benutzer zu schätzen. Zukünftig wird er selbst aber nicht mehr dort aktiv sein. „Man steckt viel Zeit und Mühe in die Artikel, einen wirklichen Gegenwert gibt es aber nicht“, sagt er.