Wegen Vernachlässigung der Ur-Oma vor Gericht
Eine Viersenerin, ihre Tochter und die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes mussten sich unter anderem wegen Körperverletzung verantworten
VIERSEN (krü) Vor dem Jugendschöffengericht musste der Staatsanwalt gestern mehrere Anklageschriften verlesen. Auf der Anklagebank saßen drei Frauen. Laut Anklage sollen die 41-jährige Viersenerin und deren 22 Jahre alte Tochter sowie die 28-jährige Mitarbeiterin eines Pflegedienstes 2015 die kranke Ur-Oma der 22-Jährigen durch Vernachlässigung gesundheitlich geschädigt haben. Die Enkelin soll sich außerdem mit der Kontokarte der 85-jährigen Ur-Oma des Betruges und der Urkundenfälschung schuldig gemacht haben.
Mutter und Tochter lebten 2015 in der Wohnung, deren Mieterin die Ur-Oma war. Die Seniorin war damals aus dem Krankenhaus in die häusliche Pflege entlassen worden, was sich bald als Fehler herausstellen sollte. Die mitangeklagte 28-jährige Mitarbeiterin eines Pflege- dienstes half bei der Versorgung der 85-Jährigen. Die Enkelin sah sich als Stütze der Frau vom Pflegedienst. Doch Mutter und Tochter seien bald überfordert gewesen, erklärte der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts. Und die Mutter beteuerte: „Wir haben der Oma nichts getan.“
Außerdem beschwerte sich gestern die mitangeklagte Frau vom Pflegedienst. Die zur Wundbehandlung notwendige Cupidus-Matratze sei durch eine ungeeignete Schaumstoffmatratze ersetzt worden. Das Krankenhaus hatte reichhaltiges Verbandsmaterial vorgeschlagen, so die Pflegerin gestern. Doch der behandelnde Arzt hatte kritisiert: „Das ist doch völlig übertrieben.“Mehr Verbandsmaterial gab es also nicht. Einen Katheter forderte die 28-Jährige vergeblich für die inkontinente Seniorin. Im Juli 2015 wurde die 85-Jährige von Mitarbeitern des Ordnungsdienstes aus der Wohnung geholt, als Mutter und Tochter sich bei den Stadtwerken um Strom bemühten, der abgeschaltet wurde, nachdem sie die Rechnungen nicht bezahlt hatten. Dehydriert und mit Nierenversagen fanden die Mitarbeiter des Ordnungsdienstes die Frau in ihrem Zimmer. Sie kam ins Altenheim.
Am Ende sprach das Gericht die drei Angeklagten vom Vorwurf der Vernachlässigung und fahrlässigen Körperverletzung frei. Die Vertreterin des Pflegedienstes habe sich mit ihren Forderungen nicht durchsetzen können. Die Dehydrierung der Patientin hätten Laien nur schwer erkennen können, erklärte ein Arzt. Wegen elffachen Betruges mit der Kontokarte der Ur-Oma wurde die vorbelastete Tochter nach Jugendstrafrecht verwarnt. Außerdem muss sie 150 Arbeitsstunden leisten.