Schockstarre nach dem Anschlag
Die bange Frage: Wie verarbeiten die Spieler das Erlebte innerhalb von 24 Stunden? Die Fans reagieren verständnisvoll auf die Absage des Spiels.
DORTMUND Es beginnt wie jeder Europapokal-Abend. Staus bei der Anreise, leises Kribbeln liegt über der Arena, es herrscht Vorfreude. Doch eine Stunde vor dem Anpfiff des Viertelfinal-Hinspiels in der Champions League zwischen Borussia Dortmund und AS Monaco beginnt das Brodeln in den sozialen Medien im Internet. Der BVB verbreitet über den Kurznachrichtendienst Twitter die Nachricht: „Es hat einen Vorfall am Mannschaftsbus gegeben, eine Person wurde verletzt. Weitere Informationen folgen.“
Die Nachricht sorgt zu Recht für Unruhe. Es spricht sich schnell herum, dass es offenbar einen Anschlag auf den Bus der Dortmunder gegeben hat. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bestätigt, „dass unmittelbar bei der Abfahrt des Busses vom Mannschaftshotel an der Wittbräucker Straße drei Sprengkörper ausgelöst wurden“.
Dabei sind Scheiben geborsten am Bus, der angeblich mit Panzerglas ausgestattet ist, Dortmunds spanischer Verteidiger Marc Bartra wird am Arm verletzt und ins Krankenhaus gefahren. Was die meisten im Stadion, die sich über die Netzwerke informieren, lange nicht wissen: Das Team ist im Hotel geblieben, und es steht fest, dass die Begegnung abgesagt wird. Eine knappe halbe Stunde vor dem geplanten Anstoßtermin wird bekannt, dass die Partie heute um 18.45 Uhr ausgetragen wird.
Die Reaktionen im Stadion sind, abgesehen von ein paar Pfiffen, verständnisvoll. Der ehemalige Dortmunder Trainer Ottmar Hitzfeld sagt im Studio des Senders Sky: „Kein Spieler ist in der Lage, sich auf ein Champions-League-Spiel zu konzentrieren, wenn er kurz vorher erleben muss, wie Sprengsätze neben ihm hochgehen.“Die Fans des AS Monaco zeigen Größe, sie rufen nach der Absage minutenlang „Dortmund, Dortmund“.
Der Dortmunder Präsident Reinhard Rauball bedankt sich ausdrücklich in der Kabine der Gäste. Geschäftsführer Watzke lobt die „sehr gute Zusammenarbeit zwischen Polizei, Uefa-Verantwortlichen und unseren Gästen aus Monaco“.
Eine halbe Stunde, bevor das Spiel eigentlich angepfiffen werden soll, schickt Stadionsprecher Norbert Dickel die Fans auf den Heimweg. Die Ränge leeren sich ziemlich geräuschlos. Watzke schaut den Fans nachdenklich hinterher. „Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Mannschaft morgen einigermaßen wettbewerbsfähig auf den Platz zu stellen“, sagt er.
Watzke und Rauball haben Kontakt zum Team. Watzkes Einschätzung: „Die Mannschaft steckt in einer Schockstarre.“In den Netzwerken gehen die ersten guten Wünsche von Kollegen ein, Jerome Boateng von Bayern München ist dabei, ehemalige Mitspieler von Bartra. Ob sie das Team erreichen?
Auf dem Heimweg diskutieren die Menschen über die Anfälligkeit von Großveranstaltungen. Viele finden es bemerkenswert, dass selbst die gewöhnlich sehr gut geschützten Hauptdarsteller in diesem Geschäft verletzbar sind. Es ist eine neue Di- mension, auch wenn zunächst niemand über die Kraft der Sprengsätze informiert. Die Polizei bittet bei Twitter darum, keine Halbwahrheiten oder Gerüchte zu verbreiten. Sie kann es aber nicht verhindern.
Zumindest spricht sich herum, dass offenbar im Bereich des Stadions zu keiner Zeit Gefahr bestanden hat. Norbert Dickel versichert über das Stadionmikrofon: „Es war ein gravierender Zwischenfall am Bus, aber im Stadion besteht überhaupt kein Anlass zur Panik.“So richtig beruhigt geht freilich niemand nach Hause.
Unter Zuschauern und Journalisten sind einige, die bei den Anschlägen von Paris in der Arena waren und die das wegen Terrorverdachts abgesagte Länderspiel in Hannover erlebt haben. Auch wenn vorerst nichts dafür spricht, dass Dortmund in derartige Kategorien einsortiert werden muss, geht erneut ein Stück Unbeschwertheit verloren. An die Fortsetzung des Unterhaltungsgeschäfts Fußball unter noch massiveren Sicherheitsvorkehrungen, an Sport im Hochsicherheitstrakt mag lieber niemand denken. Vielleicht kommt der Fußball aber nicht daran vorbei.
Auch das bewegt die Menschen beim Weg aus dem Stadion: Dort trainieren die Profis des AS Monaco wenig später, weil, so die Begründung, die Spieler sich bewegen sollen.