Rheinische Post Viersen

Die mysteriöse Sprache der Kiependräg­er

Der Breyeller Verein der Heimatfreu­nde will das Krämerlate­in bewahren. In Kursen kann man die alten Worte der Heimat erlernen

- VON DANIELA BUSCHKAMP

BREYELL Wenn Winfried Sieben ein Kompliment macht, klingt das so: „Ene knäbije Tuere.“Mit einer Tür hat das nichts zu tun. Der 72-Jährige gehört zu den letzten Menschen in Breyell, die noch Henese Fleck beherrsche­n – die alte Geheimspra­che der Kiependräg­er, ein außergewöh­nliches Beispiel, wie Worte der Heimat klingen können. Siebns Kompliment – wenn man es versteht – ist zeitlos und lässt jede Gesprächsp­artnerin strahlen, denn es bedeutet: „Eine sehr schöne Frau.“

Seit den 90er Jahren ist Sieben Mitglied im Verein der Heimatfreu­nde „Henese Fleck“aus Breyell. 1938 gegründet, kümmert sich der Verein um die Historie des Ortes. Was den Mitglieder­n stets wichtig war: ihr Wissen um das Krämerlate­in, die fast vergessene Sprache der Kaufleute aus Breyell, zu bewahren und weiterzuge­ben. Im Jahr 1959 brachten einige Mitglieder etwa ein Heimatbuch heraus, das sich mit der sogenannte­n „schönen Sprache“beschäftig­te. Darin waren Wortschatz, Lieder und Gedichte gesammelt.

Warum die Händler, die in großen Körben ihre Waren trugen und damit umherzogen, eine eigene Sprache entwickelt­en und benutzten: Sie wollten sich untereinan­der ungestört unterhalte­n – über gute Kunden, die besten Preise und vielleicht auch über schöne Frauen. Das konnten sie sogar im vollen Schank- raum unbesorgt. Denn ihre Worte waren den meisten so fremd und unverständ­lich wie Latein, die Sprache der Gelehrten und der Kirche.

Zum Henese Fleck gehören unterschie­dliche Bestandtei­le: Es gilt als verwandt mit dem Rotwelsch, enthält Begriffe aus dem Platt, aber auch eigenständ­ige Worte. „Ohne Platt ist auch das Henese Fleck nicht zu verstehen“, meint Winfried Sieben.

Eine weitere Besonderhe­it: Viele Worte erhalten ihre Bedeutung erst aus dem Zusammenha­ng, in dem sie verwendet werden. So kann „blaak“ebenso „glatt“wie „einig“bedeuten. „Knökele“kann „arbeiten“heißen, aber auch „flüssig“oder „schnell“. Typisch seien Wortkombin­ationen. Tent bedeute „Haus“. Ein Poytent (Wasser-Haus) sei ein Schiff. Ein Auto könne als Pempertsch­ütt (Pempert = Brennstoff, Schütt = Wagen) bezeichnet werden. Für’s Internet würde Sieben kein Wort bauen – das kannten die Kiependräg­er ja nicht. Wie eng die Geheimspra­che mit der Heimat verbunden war, zeigen Bezeichnun­gen wie „henese Poy“für das große Wasser, den Rhein, und „locke poy“, das kleine Wasser, für die Maas.

Mit seiner Begeisteru­ng für die alte Sprache der Händler ist Winfried Sieben nicht allein. Auch Hubertine Kreuels (66), die seit 40 Jahren in Breyell lebt und viele als frühere Wirtin der Gaststätte Kreuels kennen, pflegt die Liebe zu den fast vergessene­n Worten. „Es macht einfach Spaß – auch wenn es nicht einfach ist“, sagt sie. Die Gesprächsp­artner, mit denen Kreuels und Sieben sich unterhalte­n können, sind selbst für das kleine Breyell überschaub­ar. Auf „zehn bis zwölf“schätzt Sieben ihre Zahl. Der jüngste ist 65, der älteste über 80.

In den Straßen und Gasträumen von Breyell ist Henese Fleck längst nicht mehr zu hören – wohl aber in Sprachkurs­en, die die Vereinsmit­glieder regelmäßig anbieten. Und dort wird gebüffelt wie in jedem anderen Sprachunte­rricht, aber auch viel gelacht, sagt Hubertine Kreuels. „Wir fangen erstmal mit den Zahlen an. Das ist schon komplizier­t. Zu den ganz hohen Zahlen kommen

 ?? RP-FOTO: F.H. BUSCH ?? Sprechen wie einst die Kiependräg­er: Winfried Sieben und Hubertine Kreueles gehören zu den wenigen Breyllern, die noch die geheimnisv­ollen Worte der Händler beherrsche­n – und sie auch verwenden.
RP-FOTO: F.H. BUSCH Sprechen wie einst die Kiependräg­er: Winfried Sieben und Hubertine Kreueles gehören zu den wenigen Breyllern, die noch die geheimnisv­ollen Worte der Händler beherrsche­n – und sie auch verwenden.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany