Rheinische Post Viersen

Gewalt gegen Bahnperson­al nimmt zu

Die Zahlen sind alarmieren­d, alleine im vergangene­n Jahr gab es 450 gewaltsame Übergriffe auf das Bahnperson­al in NRW. Beleidigun­gen sind mittlerwei­le alltäglich. Unterwegs mit Schaffnern, die eigentlich nur ihre Arbeit machen wollen.

- VON EMANUEL SCHIERL

DÜSSELDORF Arno Müller* ist optisch ein beeindruck­ender Mann; die Sorte Mensch, mit der man lieber keinen Ärger haben will. Der Zwei-Meter-Mann arbeitet seit 41 Jahren bei der Deutschen Bahn als Schaffner, neudeutsch KIN, Kundenbetr­euer im Nahverkehr.

Er gehört zur alten Garde, hat die Zeit miterlebt, als die Bahn noch eine Behörde war. Seitdem hat sich vieles verändert, auch der Umgang mit den Fahrgästen. Besser ist es nicht geworden. Alleine in NRW gab es im letzten Jahr 450 gewaltsame Übergriffe auf das Bahnperson­al, das waren 90 mehr als noch 2015.

Müller ist es gewohnt, täglich beleidigt zu werden, was angesichts seiner freundlich­en Art verwundert. Das sei halt heutzutage so, er habe sich damit abgefunden, sagt er lapidar. Doch das, was an Altweiber in der Bahnlinie S1 zwischen Düsseldorf und Duisburg passierte, hatte eine andere Dimension: Ein betrunkene­r Karnevalis­t ohne Fahrschein weigert sich, das Strafgeld zu zahlen oder sich auszuweise­n. Im Verlauf des Gesprächs wird er immer aggressive­r, dann steht er plötzlich auf, um Müller niederzusc­hlagen.

Es gibt mittlerwei­le Deeskalati­onsseminar­e bei der Bahn, bei denen Schaffner lernen sollen, gefährlich­e Situatione­n wie diese zu erkennen und früh genug die Lage zu beruhigen. Wie sinnvoll diese Weiterbild­ungen sind, merkt man schnell, wenn man den Teilnehmer­n zuhört. Acht Kundenbetr­euer sind an diesem Tag im zweiten Stock des Bürogebäud­es der Bahn in Düsseldorf dabei. Praktisch alle wurden mindestens einmal von einem Fahrgast attackiert. Sie erzählen sich gegenseiti­g von diesen Erfahrunge­n, wirklich schockiere­n können die Geschichte­n hier keinen mehr.

Ferdinand Balke leitet das Seminar, er ist Mitarbeite­r bei der Bahntochte­r DB Training. Auch er bemerkt, dass sich etwas verändert hat: „Für die meisten Schaffner sind Beleidigun­gen nicht mal mehr eine Meldung wert.“Wenn man die Schaffner so reden hört, bemerkt man einen gewissen Trotz in den Erzählunge­n. „Davon habe ich mich nicht beeindruck­en lassen“, ist ein Satz, der häufig fällt an diesem Tag. Die Bahn-Mitarbeite­r sprechen sich gegenseiti­g Mut zu, versuchen den anderen Tipps zu geben, wie sie solche Situatione­n lösen können.

Die wichtigste Regel gibt Balke den Seminartei­lnehmern mit auf den Weg: „Sie kennen ja unser Motto, laufen statt raufen. Im Ernstfall ist die beste Lösung immer, sich zurückzuzi­ehen.“Eine Teilnehmer­in berichtet, dass ihr ein aufgeregte­r Fahrgast bis ins Führerabte­il gefolgt sei. Nachdem sie sich dort eingeschlo­ssen habe, trat der Fahrgast gegen die Tür und bedrohte sie.

Die Bahn hat mittlerwei­le ein Konzept getestet, um Gewalt gegen das Zugpersona­l zu verhindern. Das Bahnperson­al in Köln und Berlin hat zu diesem Zweck über einen längeren Zeitraum sogenannte Bodycams getragen. Während der gesamten Testphase mit den am Körper befestigte­n Kameras kam es zu keinem Angriff auf das ausgerüste­te Personal. Nun will die Bahn zusammen mit Datenschüt­zern darüber entscheide­n, ob die Technik flächendec­kend eingesetzt wird.

Wie dringend der bessere Schutz notwendig ist, wird während des Seminars im Praxistest deutlich. Die Gruppe hat kaum den Regionalex­press 1 Richtung Köln betreten, als schon der erste Fahrgast ausfällig wird. „Was soll das? Warum kontrollie­rt ihr uns und nicht die schwarzfah­renden Kopftuchtr­äger in der ersten Klasse“, brüllt der ältere Mann: „Was glaubt ihr, woher der Begriff Schwarzfah­rer kommt?“

Der plumpe Rassismus prallt an den Schaffnern ab, sie winken nur ab, alles schon tausendmal gehört. Danach verläuft die Kontrolle ruhiger, einige Reisende schenken den Schaffnern sogar ein Lächeln. „Das Zwischenme­nschliche, von den Zwischenfä­llen abgesehen, ist ja eigentlich das Schöne an dem Beruf“, sagt Thomas Laubenstei­n, einer der Seminartei­lnehmer.

Noch vor der Haltestell­e Köln Messe/Deutz bleibt der Zug stehen. Eine Gruppe von fünf jugendlich­en Mädchen hat sich um eine scheinbar schwangere Frau versammelt. Die Bahn-Mitarbeite­r rufen den Notarzt. Die Frau ist offenbar ohnmächtig geworden, liegt auf dem Boden und muss später von ihren Begleiteri­nnen aus dem Zug getragen werden. Kurze Zeit später erfahren die Bahn-Kontrolleu­re von den Sanitätern, dass es sich bei der Gruppe um Trickbetrü­ger gehandelt hat. Der Zusammenbr­uch war vorgetäusc­ht, um beim Schwarzfah­ren nicht erwischt zu werden.

Der Zug hat jetzt 20 Minuten Verspätung. „Das wird gleich wieder an uns ausgelasse­n, dabei wissen die Leute ja eigentlich, dass wir Schaffner für Verspätung­en nichts können“, sagt Thomas Laubenstei­n: „Aber vielleicht muss das einfach mal raus bei den Gästen, die meinen das ja nicht persönlich.“Es klingt trotzig, den Job kaputt machen lassen wollen sie sich nicht.

Und es gibt ja auch noch die anderen Erlebnisse, wie an jenem Altweiber-Donnerstag, als der betrunkene Fahrgast aufstand, um Arno Müller niederzusc­hlagen. Was dann passierte, ist der Grund, warum der Schaffner bis heute gerne an den Tag zurückdenk­t. „Drei Mitfahrend­e haben die Situation bemerkt und sind sofort aufgesprun­gen und haben sich vor mich gestellt, um mich zu schützen. Die haben den Schwarzfah­rer einfach festgehalt­en.“So etwas habe er noch nie erlebt, sagt Müller, die Situation sei ja auch für die anderen gefährlich gewesen. Es sind Erlebnisse wie diese, weshalb Müller am Ende der Bahnfahrt sagt: „Schaffner zu werden, war zwar nie mein Traum, aber es ist ein schöner Beruf. Trotz allem.“*Name von der Redaktion geändert

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FOTO: BAHN Die Deutsche Bahn hat Bodycams getestet, um das Zugpersona­l besser vor Übergriffe­n zu schützen. Die Zahl der Angriffe ging danach stark zurück.

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