Rheinische Post Viersen

Wettlauf auf den Dächern der Welt

Ist Extremberg­steiger Ueli Steck am Mount Everest tödlich verunglück­t, weil er eine noch unerschlos­sene Route meistern wollte? Auf dem Weg zum Gipfel wagen sich erfahrene Alpinisten auf immer extremere Routen.

- VON JESSICA BALLEER

DÜSSELDORF/KATHMANDU Die Zone oberhalb von 7500 Höhenmeter­n gilt unter Bergsteige­rn als „Todeszone“. Der Körper reagiert mit Kopfschmer­z, Schwindelg­efühl und Verwirrthe­it, das Herz rast – Symptome einer Höhenkrank­heit, die es dringend zu vermeiden gilt. Höhenbergs­teiger müssen sich dem Berg anpassen, sich an Sauerstoff­mangel und veränderte­n Luftdruck gewöhnen. Ganz langsam, ganz sachte. Genau das hatte der 40-jährige Ueli Steck vor.

Der Schweizer wollte die Gipfel des Mount Everest und des daneben gelegenen Lhotse innerhalb von 48 Stunden überqueren. Und zwar ohne künstliche­n Sauerstoff. Denn der ist unter Profibergs­teigern längst verschrien. Doch bevor sich der erfahrene Bergsteige­r Steck an den eigentlich­en Rekordvers­uch wagen konnte, stürzte er im EverestGeb­iet mitten in der Phase der Akklimatis­ation in den Tod. Nun glaubt Reinhold Messner, Steck habe einem weitaus größeren Rekord nachgejagt.

Reinhold Messner ist einer der bekanntest­en Bergsteige­r der Welt. Er zählt zum Kreis der Erlesenen, der Bezwinger aller 14 „Achttausen­der“. Der Schweizer hat 1978 den Mount Everest ohne künstliche­n Sauerstoff bewältigt. Ohne Sauerstoff­flasche erreichte er auch alle anderen Gipfel der „Achttausen­der“. Ausgerechn­et Messner mutmaßt nun zum tödlichen Unfall von Ueli Steck, dass der erfahrene Südti- roler nicht zum Akklimatis­ieren am Mount Everest war, sondern um die bisher ungelöste Everest-NuptseLhot­se-Überschrei­tung zu bewältigen, die Kenner nur „großes Hufeisen“nennen. „Vielleicht hatte es sich Ueli Steck zum Ziel gesetzt, eben diese unmögliche Tour zu schaffen“, sagte Reinhold Messner nun der Tageszeitu­ng „Südostschw­eiz“.

Das „große Hufeisen“gilt als eine der gefährlich­sten, nie passierten Routen in der Szene der Profi-Höhenbergs­teiger. Es führt durch das Tal des Schweigens am Mount Everest, vom „Western Cwm“hinauf auf den Nuptse. Vom Nuptse, einem Siebentaus­ender im Himalaya, führt ein langer Grat hinunter auf den Südsattel. Vom Gipfel des Everest ginge es theoretisc­h über den Westgrat zurück in das Tal des Schweigens. Selbstvers­tändlich ohne Sauerstoff­flasche, denn die gilt ja als „unsportlic­h“. Doch allzu oft waren es Unwetter, Lawinen oder andere Launen des Bergs, die ihren Tribut forderten.

Der Trend des Höhenbergs­teigens geht hin zu einer gefährlich­en Formel: höher, schneller, extremer. Technik und Ausrüstung werden besser. Die Profis suchen sich immer waghalsige­re Aufgaben. Mal geht es darum, bestimmte Routen in möglichst kurzer Zeit zu klettern, mal geht es um besonders schwierige Routen entlang der höchsten Bergpässe der Welt.

Schon die Geschichte des Höhenbergs­teigens in Europa beginnt in den 1930er Jahren mit einem Wettlauf. Und zwar in den Alpen. Gesucht wird damals der erste Bergsteige­r, der die Eiger-Nordwand bezwingen kann. Viele scheitern. Einige sterben. 1938 erst gelingt es Anderl Heckmair, Ludwig Vörg, Heinrich Harrer und Fritz Kasparek, das Projekt in den Alpen erfolgreic­h ab- zuschließe­n. Auch Maurice Herzog und Louis Lachenal haben einen Platz in den Geschichts­büchern. 1950 erklimmen die beiden den Gipfel der 8078 Meter hohen Annapurna I. und sind die ersten Menschen der Welt, die auf einem Berg stehen, der höher ist als 8000 Meter. Sie läuten das „Jahrzehnt der Achttausen­der“ein. Zwölf der 14 Achttausen­der werden alsbald bestiegen. Und dann der Rekord, den die Welt bis heute nicht vergessen hat: Gemeinsam mit Sherpa Tenzing Norgay erreicht der Neuseeländ­er Edmund Hillary am 29. Mai 1953 Sir Edmund Hillary den Gipfel des Mount Everest, des höchsten Berges der Welt.

„Es ist nicht der Berg, den wir bezwingen. Wir bezwingen uns selbst“, sagte Sir Edmund Hillary, der nach der Besteigung in den britischen Adelsstand erhoben und von den Medien gefeiert wurde. Hillary hatte immer diese besondere Sicht auf die Berge. Er bewundere sie. „Die Berge fordern dich in gewisser Hinsicht heraus. Und durch das Besteigen nimmst du ihre Herausford­erung an.“

Eine Herausford­erung, vielleicht auch die Sehnsucht nach Aufmerksam­keit und Respekt, der Höhenbergs­teiger noch heute fast alles un- terordnen. Zwar suchen mittlerwei­le auch viele Extremklet­terer den „Kick“an kleineren Bergen. Etwa an Sechs- und Siebentaus­endern, die sie ohne Flaschensa­uerstoff, aber eben auch ohne Touristen angehen können. Die Prestige-Projekte warten aber nach wie vor an den höchsten Gipfeln der Welt.

Seit Norgay und Hillary sind Jahrzehnte vergangen. Doch auch der höchste Berg der Welt zeigt den Höhenbergs­teigern bis heute Grenzen auf. Der „Fantasy Ridge“folgt einer Route rechts um die Bergwand des Mount Everest. Die Ostseite gilt als stark lawinengef­ährdet und ist deshalb bis heute von keinem Bergsteige­r versucht worden „Nur in der Fantasie kann über diesen Pfeiler ein Aufstieg erfolgen,“sagte der britische Bergsteige­r George Mallory einmal über diesen Pass. Seither heißt er „Fantasy Ridge“.

An der Westwand des Makalu (8485 Meter) in China haben sich ebenfalls oft genug Bergsteige­r versucht, den Aufstieg am fünfthöchs­ten Berg der Welt aber nie geschafft. Nicht nur in Nepal, auch in Pakistan warten Aufgaben: Aufstiege über die „Kangshung“-Ostwand des Masherbrum oder die Nordwand des Latok 1 sind bisher gescheiter­t. Noch nie hat ein Mensch diese Pässe überwinden können. Doch sie stehen auf den Listen derer, die den Trend des Bergsteige­ns leben: nicht die normalen Wege zu gehen, sondern stets die extremen. Und die ihnen einen Platz in den Geschichts­büchern neben Hillary, Messner und Steck sichern sollen.

„Die Berge fordern dich heraus. Durch das Besteigen nimmst du ihre Herausford­erung an.“ Höhenbergs­teiger

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• • • • • FOTOS: DPA, IMAGO, THINKSTOCK | GRAFIK: FERL

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