Rheinische Post Viersen

Die Macht der Gewohnheit

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Nach der saarländis­chen Landtagswa­hlimMärzun­d vor der Wahl in SchleswigH­olstein am Wochenende war in Berliner Hinterzimm­ern bei Union und SPD die Theorie sehr beliebt, wonach es sehr schwer, ja fast unmöglich sei, Amtsinhabe­r durch Wahlen abzusetzen. Begründet wurde die Annahme stets damit, dass sich der Wähler in außenpolit­isch unsicheren Zeiten nach Stabilität sehne. Und in der Tat konnten sich ja bei einer Reihe von Landtagswa­hlen von Baden-Württember­g über Rheinland-Pfalz bis SachsenAnh­alt die Amtsinhabe­r halten – wenn sie auch nach der Wahl neue Koalitions­partner brauchten.

Die Sozialdemo­kraten fügten der Analyse dann gerne noch hinzu, dass aus diesem Grund eben auch CDU-Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r gegen den Schulz-Trend das Saarland halten konnte. Für 2017 hätte sich daraus

Der Amtsbonus ist in der Politik immer ein Schwergewi­cht. Eine Garantie, dass die Macht der Gewohnheit erhalten bleibt, ist er aber nicht – wie Schleswig-Holstein zeigt.

weiter die Lage ergeben, dass in Schleswig-Holstein und NRW die sozialdemo­kratischen Regierungs­chefs Torsten Albig und Hannelore Kraft an der Macht bleiben, während das Kanzleramt in Händen der CDU bleibt. So weit die Theorie.

In der Praxis hat nun in SchleswigH­olstein ein völlig unbekannte­r, nach Turbulenze­n im eigenen Landesverb­and als Not-Kandidat ins Rennen geschickte­r Mann den Amtsinhabe­r besiegt. Obendrein haben die Wähler auch noch die Regierungs­bildung zu einer kniffelige­n Aufgabe gemacht und damit den Verantwort­lichen signalisie­rt, dass sich kein Wahlkämpfe­r auf die Macht der Gewohnheit verlassen sollte.

Im Gegenteil: Ganz offensicht­lich provoziert zu viel Selbst- und Siegessich­erheit der Amtsinhabe­r die Wähler, beim Herausford­erer das Kreuz zu machen. Bei Torsten Albig in Schleswig-Holstein war dies – ge- koppelt mit einer mittelmäßi­gen Regierungs­bilanz – ganz offensicht­lich genau der Fall.

Wer die Stimmungsk­urve im Land dauerhaft verfolgt, stellt sogar fest, dass es bei den Wählern eine Sehnsucht nach frischem Wind gibt, was sich in ganz unterschie­dlichen Ausprägung­en zeigt. Ohne dass diese Phänomene inhaltlich etwas gemeinsam haben, kann man darunter den Aufschwung der Piraten, die mitunter überrasche­nd hohen Erfolge der AfD, den Schulz-Effekt und auch den Erfolg des CDU-Kandidaten bei der Wahl im Norden zählen.

In NRW ist nun nichts in Sicht, was die Faszinatio­n des Neuen ausüben könnte. Sollte Ministerpr­äsidentin Kraft am kommenden Sonntag ihre Mehrheit verlieren, wäre dies vor allem ihrer schlechten Regierungs­bilanz geschuldet. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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