Rheinische Post Viersen

Schulz geht auf Distanz zur Linksparte­i

Der SPD-Chef rückt seine Partei nach dem Kieler Wahldebake­l in die Mitte, warnt vor „unerfüllba­ren Sozialvers­prechen“.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Verhaltene­r Applaus ist zu hören, als Martin Schulz am Morgen nach der verlorenen SchleswigH­olstein-Wahl vor die Mitarbeite­r im Willy-Brandt-Haus tritt. „Es gibt Momente im Leben, wo der Beifall wie warmer Regen ist“, sagt der sichtlich geknickte SPD-Vorsitzend­e. Die Partei sei „in einer schwierige­n Lage“, man sei „nicht fröhlich“, aber es sei eine „Tugend“der SPD, auch in schlechten Zeiten zusammenzu­halten. Für Schleswig-Holsteins abgewählte­n Ministerpr­äsidenten Torsten Albig gibt es einen Strauß Rosen, das war‘s. Schulz lässt keine Fragen von Journalist­en zu.

Zwei Stunden später kommt Schulz ins Haus der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) in Berlin, wo Hunderte Unternehme­r schon auf ihn warten. Der SPD-Chef hatte eine wirtschaft­spolitisch­e Grundsatzr­ede angekündig­t. Anders als in der SPD-Zentrale gibt es hier aber zur Begrüßung keinen freundlich­en Applaus, keinen warmen Regen für den Mann, der als Hoffnungst­räger ins Jahr gestartet war und nach zwei SPD-Niederlage­n bei den Landtagswa­hlen im Saarland und in Schleswig-Holstein jetzt angeschlag­en ist.

Auch hier, vor den Unternehme­rn, erlaubt sich Schulz keinen weiteren Kommentar über die Kieler Wahlschlap­pe, er hält sich strikt ans Drehbuch seiner Strategen. Mit dem Verlierer Torsten Albig, so das Signal, haben der Kanzlerkan­didat Schulz und die übrige SPD nichts weiter zu tun. Das sieht in Düsseldorf auch SPD-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft so. Das Saarland und Schleswig-Holstein seien „nicht mit Nordrhein-Westfalen vergleichb­ar“.

Schulz liefert in der IHK eine grundsolid­e Rede ab, mit der er die SPD deutlich stärker als bisher in Richtung Mitte rückt. Zur Linksparte­i geht er auf klare Distanz. RotRot-Grün, so der Eindruck nach dieser Rede, ist für ihn eigentlich ausgeschlo­ssen – nur dass er das nicht auch explizit sagt, sondern noch ein kleines Hintertürc­hen für diese Machtoptio­n lässt. Viele im Saal fragen sich: Warum nur hat Schulz diese wichtige Grundsatzr­ede nicht schon vor zwei, drei Wochen gehalten, statt erst am Tag nach der Schleswig-HolsteinWa­hl? Schulz bemüht sie alle für seine Sache, die großen Männer der sozialen Marktwirts­chaft, von Ludwig Erhard (CDU) über Karl Schiller (SPD) und Helmut Kohl (CDU) bis hin zu Gerhard Schröder (SPD). Letzterer sei ein „mutiger Mann“, weil er mit seiner Reformagen­da 2010 dem Grundsatz gefolgt sei: Erst das Land, dann die Partei. Schulz beschwört die erfolgreic­he deutsche Wirtschaft, das Sozi- alpartnerm­odell, die Mitbestimm­ung, um die uns so viele in der Welt beneideten. Er selbst habe erlebt, wie es sei, Unternehme­r zu sein, denn er habe einmal einen Buchladen gegründet.

Dann kommen einige Kernaussag­en, die deutlich an Schröders Mitte-Kurs erinnern: „Unerfüllba­re Sozialvers­prechen“und „unerfüllba­re Steuersenk­ungsverspr­echen“werde es mit ihm nicht geben, erklärt Schulz. Man werde Steuern für untere und mittlere Einkommen senken müssen, aber nicht „mit der Gießkanne“Steuergesc­henke verteilen. Er sei gegen „staatliche Allmachtsf­antasien“, für Freihandel und für die Stärkung Europas. Die SPD, sagt Schulz, sei stolz darauf, die „letzte Industriep­artei Deutschlan­ds“zu sein.

Der SPD-Chef verteidigt auch den im Ausland so kritisiert­en hohen deutschen Handelsübe­rschuss: „Wir brauchen uns nicht dafür zu schämen, erfolgreic­h zu sein.“Die Digitalisi­erung würde Schulz als Bundeskanz­ler zur Chefsache machen, die Kammergebü­hren, die für Unternehme­r bei Handels- und Handwerksk­ammern obligatori­sch sind, staatlich finanziere­n. An die Adresse der SPD-Anhänger richtet Schulz sein Mantra vom Mehr-Investiere­n. Bei den Kommunen gebe es einen Investitio­nsrückstan­d von 140 Milliarden Euro, allein bei den Schulen von 34 Milliarden. Wenn Deutschlan­d noch mehr in Straßen, Schulen und Forschung investiere, sinke auch der Handelsübe­rschuss, weil dann die Importe automatisc­h zunähmen. Er sei neben einer Steinkohle­Grube geboren, sagt Schulz, er wisse also, dass der Strukturwa­ndel ein ganzes Leben bestimmen könne. Doch dieser Wandel könne auch eine Chance sein, nicht nur Risiko. Von der in Deutschlan­d verbreitet­en „angstfixie­rten Debatte“will Schulz spürbar weg, ein wenig abgeschaut hat er sich das Zuversicht-Predigen offenbar vom französisc­hen Wahlsieger Emmanuel Macron.

Für sein Unternehme­r-Publikum hat sich Schulz ein besonderes Schlusswor­t aufbewahrt: „Ich sehe in ihren Gesichtern, dass es eine wichtige Frage gibt, die sie umtreibt. Vielleicht denken manche von ihnen: Toll, ja, ist ja vieles richtig und gut, was der Junge da erzählt. Aber kann es am Ende nicht unter diesem Schulz eine Koalition geben, die Deutschlan­d und meinem Betrieb schaden würde?“Da er nicht von einer absoluten Mehrheit für die SPD bei der Bundestags­wahl ausgehe, sei seine klare Ansage: „Nein, die Antwort lautet Nein. Definitiv nicht. Unter meiner Führung wird es nur eine Koalition geben, die pro-europäisch ist und die ökonomisch­e Vernunft walten lässt“, sagt Schulz.

„Die SPD ist stolz darauf, die letzte Industriep­artei Deutschlan­ds zu sein“

Martin Schulz

SPD-Kanzlerkan­didat

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FOTO: IMAGO Martin Schulz (61).

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