Rheinische Post Viersen

Mehrheit dringend gesucht

Ob der neue Präsident sein Programm jemals umsetzen kann, hängt von den Parlaments­wahlen ab.

- VON MATTHIAS BEERMANN

PARIS/DÜSSELDORF Damit der neu gewählte französisc­he Staatspräs­ident auch eine Regierungs­mehrheit bekommt, wurde vor einigen Jahren eigens dessen Amtszeit von sieben auf fünf Jahre verkürzt, so dass die Parlaments­wahl jeweils kurz nach der Präsidente­nwahl stattfinde­n kann. Die Wahl einer neuen Nationalve­rsammlung sollte so etwas sein wie die logische Fortsetzun­g des Duells um die Staatsspit­ze. Nur ist diesmal alles etwas anders.

Emmanuel Macron hat die Präsidente­nwahl zwar klar gewonnen. Ob er aber bei den Parlaments­wah- len am 11. und 18. Juni eine Mehrheit gewinnen kann, ist höchst ungewiss. Macrons Bewegung „En Marche!“ist erst ein gutes Jahr alt, viele ihrer Kandidaten sind politische Anfänger, die sich in der direkten Auseinande­rsetzung mit erfahrenen Wahlkampfp­rofis schwer tun werden. Zwar kann Macron landesweit laut Umfragen mit etwa einem Viertel der Stimmen rechnen, was ziemlich genau seinem Ergebnis in der erste Runde in der Präsidente­nwahl entspricht. Doch wie viele Abgeordnet­ensitze dabei herausspri­ngen, ist angesichts des französisc­hen Mehrheitsw­ahlrechts nur sehr schwer kalkulierb­ar.

In jedem der 577 Wahlkreise wird ein Abgeordnet­er für die Nationalve­rsammlung direkt gewählt. Die politische­n Kräfteverh­ältnisse vor Ort sind also entscheide­nd. Wenn kein Kandidat im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent bekommt, gibt es eine Stichwahl. Qualifizie­rt sind alle Bewerber, für die in der ersten Runde mindestens 12,5 Prozent der Wahlberech­tigten gestimmt haben.

Zwar liegt „En Marche!“in den Umfragen national bislang vorne, aber die Konservati­ven und Le Pens Front National sind Macrons Bewegung dicht auf den Fersen. Fast ebenso groß ist das Wählerpote­nzial des Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon. Wenn man jetzt noch einkalkuli­ert, dass sich bei der Präsidente­nwahl jeder vierte Wähler enthalten hat und weitere zwölf Prozent – das sind immerhin vier Millionen – aus Protest bewusst einen weißen oder ungültig gemachten Stimmzette­l abgegeben haben, wird klar, dass Macron eine Zwangsehe mit anderen Parteien droht, die sogenannte Kohabitati­on.

Macron müsste dann einen Premiermin­ister aus diesem Lager ernennen, der seine Politik aber weitgehend blockieren könnte, so wie es der Sozialist Lionel nach 1997 zeitweise gegenüber dem Neogaullis­ten Jacques Chirac praktizier­t hat.

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