Rheinische Post Viersen

Die Hoffnung stirbt zuletzt, die Plattitüde nie

Saisonends­purt im Fußball ist die Blütezeit für Phrasen. Von der Bundes- bis in die Kreisliga wird Gras gefressen, das Glück erzwungen, der Ernst der Lage hoffentlic­h begriffen und mit Sicherheit überall ganz eng zusammenge­rückt.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

IRGENDWO IM ABSTIEGSKA­MPF Eins vorneweg: Geschichte­n wie diese schreibt nur der Fußball. Gerade jetzt im Mai, wenn keine Ausreden mehr zählen. Wenn Bundes- wie Kreisliga auf die Zielgerade einbiegen, und auch dem Letzten klar sein muss, dass der Abstiegska­mpf allerorten die Plattitüde­n wieder munter sprießen lässt. Am langen Ende steht für so manches Team der Abstieg, aber bis jede Hoffnung zuletzt auch tatsächlic­h gestorben ist, wird aus der Kiste der Fußballerp­hrasen alles rausgeholt, was drin ist. Schließlic­h will am Ende niemand sagen müssen: Es tut mir vor allem für unsere treuen Fans leid.

Viele Teilnehmer im Abstiegska­mpf sehen sich dieser Spieltage mit demselben Dilemma konfrontie­rt: Sie brauchen mal wieder ein Erfolgserl­ebnis. Es geht eben darum, den Bock umzustoßen, das Ruder mit aller Macht herumzurei­ßen, will man sich am Ende der Saison nicht eine Liga tiefer wiederfind­en. Gut – abgerechne­t wird immer noch zum Schluss, aber in jedem Fall gilt: Wer jetzt den Ernst der Lage – ernst, aber nicht hoffnungsl­os – nicht begriffen hat, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Rechnerisc­h ist für die meisten Mannschaft­en ja auch noch alles möglich – indes eine Erkenntnis, die sich bei näherem Betrachten mit der Behauptung beißt, man schaue nur auf sich, nicht auf die Konkurrenz.

Egal, überall im Land gucken Trainer derzeit genau hin, auf wen sie sich verlassen können. Schließlic­h muss auch dem Letzten klar sein: Nur mit Reden kommen wir da unten nicht raus. Fußball ist ein Männerspor­t, und da muss eben auch mal Gras gefressen werden. Damit unter dem Strich auch genug Gras für alle da ist, müssen in der Stunde der Wahrheit alle ganz eng zusammenrü­cken. Denn es geht nur über den Zusammenha­lt, und die Spieler haben ja im Saisonverl­auf schon bewiesen, dass sie es besser können.

Nun ist es aber, wie es ist, und die Mannschaft steht unten drin. Doch wie konnte es soweit kommen? Erst hatte sie kein Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu. Was also tun? Ganz einfach: Man muss das Glück erzwingen, und für dieses Vorhaben braucht es vor allem eins: den Rückhalt der ganzen Region. Dafür muss der Funke vom Rasen auf die Ränge überspring­en – oder umgekehrt. Fans und Verein müssen als Einheit auftreten, wobei es an den Anhängern nur selten liegt, wenn es schiefgeht, weil die Fans die Mannschaft heute wieder super unterstütz­t haben. Großes Kompliment!

Ja klar, nach der Saison kommt alles auf den Tisch, aber bis es soweit ist, sollte eins tunlichst vermieden werden: sich von der Unruhe im Umfeld anstecken zu lassen. Den Druck haben schließlic­h die anderen, nicht man selbst. Man selbst hat Respekt vor der Aufgabe, aber keine Angst. Und der Trainer leistet jeden Tag hervorrage­nde Arbeit. Aber wenn du vorne die Dinger nicht reinmachst, kassierst du eben hinten einen. So ist Fußball – und im Fußball kann alles passieren. Auch ein Abstieg. Damit es gar nicht erst dazu kommt, sollte ein Trainer seinen Schützling­en klarmachen: Wir müssen Eier zeigen, alles reinhauen und dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken. Ganz wichtig: Immer nur von Spiel zu Spiel denken.

Das Problem bei all diesen Maßnahmen: Die Tabelle lügt nicht. Und wer am Ende auf einem Abstiegspl­atz steht, der hat es auch verdient, abzusteige­n. Gut, da kann man der Mannschaft dann auch zuweilen keinen Vorwurf machen, vielleicht ist es doch die Qualität im Kader, die gefehlt hat. Obwohl die Mannschaft intakt war.

Wem das Wasser bis zum Hals steht, dem hilft nur noch ein Wunder. Aber es sind nie genug Wunder für alle da. Sonst gäbe es ja keine Absteiger. Nicht jeder kann eben ausreichen­d Spiele gewinnen, selbst wenn hinterher niemand nach dem „Wie“der Siege gefragt hätte. Fußball ist eine Ergebnissp­ortart, daran gibt es nichts zu deuteln. Und da muss man liefern.

Aber selbst wenn die Hoffnung zuletzt stirbt, einen Überlebend­en im Abstiegska­mpf gibt es in jedem Jahr: die Plattitüde.

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