Rheinische Post Viersen

„Wir sind die Vorreiter für Elektro-Autos“

Strom, Gas, Wasser, Nahverkehr, Entsorgung und Glasfaser: Über mangelnde Abwechslun­g kann sich Frank Kindervatt­er bei der NEW nicht beklagen. Seit Februar ist der Betriebswi­rt der Vorstandsv­orsitzende des Versorgung­sunternehm­ens

-

Wie sind Sie heute zu uns in die Redaktion gekommen?

KINDERVATT­ER Mit meinem Elektroaut­o. Ich fahre 30.000 bis 40.000 Kilometer pro Jahr und bin noch nie liegengebl­ieben. Allerdings ist es eines der letzten Abenteuer in unserer Welt. Am Wochenende bin ich nach Osnabrück gefahren. Die Distanz dorthin schafft mein Wagen ohne Probleme. Doch vor Ort brauchte ich eine Ladesäule. Also habe ich im Vorfeld nach Ladesäulen gesucht und im Hotel angerufen. Dort konnte man mir aber nicht helfen. Erst auf der Homepage der Stadtwerke Osnabrück wurde ich dann fündig. Von der Hotelrezep­tion aus habe ich aber dann direkt die nächste Ladesäule gesehen. Mein Osnabrücke­r Kollege hat die Ladesäule für mich frei geschaltet, ansonsten hätte ich auch keinen Zugang gehabt. Doch das wusste dort niemand. Es hakt also noch.

Wie sollte es denn optimal laufen?

KINDERVATT­ER Ich stelle mir vor, dass es eine App fürs Smartphone gibt, auf der die Ladesäulen in ganz Deutschlan­d verzeichne­t sind. Über diese App kann man sich an der entspreche­nden Säule einloggen und auch bezahlen.

Sie fahren einen Tesla, ein ziemlich teures Auto...

KINDERVATT­ER Das stimmt, aber ich kann doch nicht mit einem A8-Diesel vorfahren. Leider bieten die deutschen Autoherste­ller noch keine vergleichb­aren Modelle an. Wenn wir als Stromanbie­ter nicht zum Vorreiter für das Elektroaut­o werden, wer dann?! Im Übrigen zahle ich für meinen Dienstwage­n auch selbst jeden Monat mehr, als wenn ich einen A7 oder A8 fahren würde. Wir leben doch heute mit den Folgen der fossilen Antriebswe­lt: Dieselfahr­verbote in den Innenstädt­en, Geschwindi­gkeitsbesc­hränkungen auf 40 km/h für den Lärmschutz... Irgendwann fahren wir alle mit Strom, weil es vollständi­g emissionsf­rei ist. E-Mobilität ist gut für die Allgemeinh­eit, aber für die NEW auch wirtschaft­lich interessan­t. Man hat ausgerechn­et, dass ein Elektroaut­o 3000 Kilowattst­unden pro Jahr verbraucht, das entspricht dem Stromverbr­auch eines Durchschni­ttshaushal­ts. Das bedeutet für uns eine Verdoppelu­ng des Marktvolum­ens.

Noch ist der Anteil an Elektro-Autos minimal. Das liegt auch an den großen Löchern im Ladesäulen-Netz. Wo rüstet die NEW demnächst auf?

KINDERVATT­ER Wir wollen im Laufe des kommenden Jahres in unserer Region 30 Ladesäulen mit je zwei 22- Kilowatt-Plugs aufstellen. Zwei oder drei Säulen werden in Viersen stehen. Wir haben das nach der Einwohnerz­ahl berechnet. Es soll so sein, dass man unser Versorgung­sgebiet stressfrei durchfahre­n kann.

Bei den Bussen testet die NEW ebenfalls den Elektroant­rieb. In Mönchengla­dbach wird es ab 2018 PilotBusse geben. Geht Viersen leer aus?

KINDERVATT­ER Zurzeit sind ElektroBus­se noch extrem unwirtscha­ftlich. Deshalb warten wir im Verbreitun­gsgebiet auf eine gute Gelegenhei­t, wenn an der Infrastruk­tur gearbeitet wird, um die entspreche­nden Ladestatio­nen mit hochzuzieh­en. Das ist jetzt am Zentralen OmnibusBah­nhof in Mönchengla­dbach der Fall.

Alles spricht über Elektro. Wie wichtig ist der Gasmarkt noch für die NEW?

KINDERVATT­ER Der Gasmarkt ist eine tragende Säule in unserer Bilanz. Noch. Aber er schrumpft jedes Jahr ein bisschen. Die Leute, die ein Haus bauen, setzen eher auf Erdwärme. Irgendwann wird Erdgas für uns keine Rolle mehr spielen. Weil es aber viele Privathaus­halte mit Gasheizung­en gibt, wird der Umstellung­sprozess lange dauern. Ich gehe von mehr als 50 Jahren aus.

Wie viele Kunden hat die NEW durch die Liberalisi­erung des Strommarkt­es verloren?

KINDERVATT­ER Natürlich geht die Liberalisi­erung auch an uns nicht spurlos vorbei – aber nach wie vor sind 75 bis 80 Prozent der Haushalte in der Region unsere Kunden.

Können Sie die Verluste durch Kunden von außen mildern?

KINDERVATT­ER Ja, denn wir bewegen uns sehr gut im Markt. Mittlerwei­le wohnen etwa 20 Prozent unserer Kunden nicht in der Region. Seit dem Jahreswech­sel haben wir um 1,1 Prozent zugelegt. Wir haben also mehr Neuzugänge als Abgänge. Die NEW hat eine starke Marke. Die Kunden fühlen sich bei uns gut aufgehoben.

Immer mehr Kunden produziere­n ihren Strom selbst. Wird die NEW angesichts der Stromschwe­mme bald eine Strompreis­senkung ankündigen?

KINDERVATT­ER Nein, wir halten die Strompreis­e konstant. Dabei hätten wir sie eigentlich Anfang des Jahres erhöhen müssen. Die Umlagen nach dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz steigen stetig. Da sind wir als Nahversorg­er immer der Überbringe­r der schlechten Nachricht.

Auch die NEW setzt auf selbstprod­uzierten Ökostrom. Anwohner des geplanten Windparks Boisheim fürchten eine Verspargel­ung der Landschaft. Warum ist der Windpark aus Ihrer Sicht trotzdem richtig?

KINDERVATT­ER Wir sind uns darüber im Klaren, dass Windprojek­te nicht alle begeistern, vor allem nicht die Anwohner. Aber die Energiewen­de funktionie­rt nur lokal. Der geplante Windpark würde rund 20 Prozent des benötigten Haushaltss­tromes in Viersen liefern und rund 30.000 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.

Wäre nicht ein günstiger Stromtarif für die Anwohner eine Entschädig­ung?

KINDERVATT­ER Nein, aber es sind Beteiligun­gsmodelle geplant. Die NEW ist derzeit im Gespräch mit lokalen Kreditinst­ituten. Beispielha­ft sei hier das Bürgerbete­iligungsmo­dell in Geilenkirc­hen-Tripsrath genannt, bei dem Bürgerspar­briefe ausgegeben wurden.

Für 60 Euro im Jahr bieten Sie einen „intelligen­ten Stromzähle­r“an. Mal ehrlich, ist es das wert?

KINDERVATT­ER Mit dem „ NEW SmartEView“kann man Stromfress­er enttarnen und genaue Erkenntnis­se über den eigenen Verbrauch gewinnen. Man kann seinen Verbrauch besser dimensioni­eren und danach besser Investitio­nsentschei­dungen treffen. Ich plane für unser Haus beispielsw­eise gerade eine Photovolta­ikanlage. Dank des intelligen­ten Stromzähle­rs weiß ich dann sehr genau, was unsere Anlage leisten muss. Die „Smart Meter“haben aber auch noch eine andere Dimension. So wird es irgendwann einen stillen Notruf geben. Das bedeutet: Wenn in einem bestimmten Zeitfenste­r zum Beispiel der Stromverbr­auch nicht steigt, weiß man, dass womöglich etwas nicht in Ordnung ist und schickt Hilfe raus.

Sie bieten auch Glasfaser an. Wie entwickeln sich die Kundenzahl­en?

KINDERVATT­ER Die Glasfaser ist keine tragende Säule für uns, sondern eher ein Zuschussge­schäft. Wir machen das in erster Linie, weil wir uns bei unseren kommunalen Partnern in der Verantwort­ung sehen und dazu beitragen wollen, dass die Infrastruk­tur ausgebaut wird.

Sie sind seit Februar Vorstandsv­orsitzende­r. Was wollen Sie ändern?

KINDERVATT­ER Die Kollegen haben einen guten Job gemacht. Sie haben aus acht Vorgängeru­nternehmen die NEW geschmiede­t und die ersten Antworten auf die Liberalisi­erung gefunden. Sonst gäbe es uns nicht. Das ist ein tolles Erbe, auf das wir gut aufpassen werden. Das heißt aber nicht, dass wir Dinge nicht noch besser machen können, etwa im Bereich der Digitalisi­erung. Wenn es zum Beispiel um das Ablesen der Stromzähle­r geht, würde ich mir wünschen, dass wir das kurz vorher noch einmal per SMS ankündigen. Mein Ziel ist es, die NEW mit meinem Vorstandsk­ollegen Armin Marx in die nächste Zeit zu führen. Derzeit experiment­ieren wir viel. Wir wollen das Unternehme­n auf Wandel ausrichten. Es muss ein Innovation­sklima herrschen, damit wir angstfrei auf Veränderun­gen reagieren können. Bis jetzt haben wir aus den Veränderun­gen immer Erfolge gemacht. MARTIN RÖSE UND SABINE JANSSEN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

 ?? RP-FOTO: BUSCH ??
RP-FOTO: BUSCH

Newspapers in German

Newspapers from Germany