Rheinische Post Viersen

„Kultur braucht Rederecht im Parlament“

Der Kulturrat NRW fordert eine stärkere Position der Kultur in der Regierung und eine Etat-Verdoppelu­ng.

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DÜSSELDORF Der frühere BundesInne­nminister Gerhart Baum (FDP) ist Vorsitzend­er des Kulturrats NRW. Das ist ein unabhängig­er Zusammensc­hluss von Kulturscha­ffenden in etwa 80 Einzelverb­änden – eine Lobby für die Kultur.

Sie haben oft beklagt, dass Kulturpoli­tik auf Landeseben­e nur wie ein Stiefkind behandelt wird. Wie könnte sich das ändern?

BAUM Wir brauchen wieder eine Person, die für die Kultur steht und in der Regierungs­hierarchie eine herausgeho­bene Stellung hat. Diese Position könnte, wie schon früher, in der Staatskanz­lei angesiedel­t sein oder in einem Ministeriu­m. Genügend Einfluss hat diese Person nur dann, wenn sie mit am Kabinettst­isch sitzt und Rederecht im Parlament bekommt.

Die scheidende Landesregi­erung hat auch ohne eine solche Figur immerhin ein Kulturförd­ergesetz auf den Weg gebracht.

BAUM Ja, das war ein guter Schritt, aber es war eine isolierte Aktion. Auch das Finanz-, Innen-, Bau- und Schulminis­terium haben Verantwort­ung – Kultur ist eine Querschnit­tsaufgabe. Der neue Anwalt der Kultur muss auch federführe­nder Koordinato­r zwischen den Ministerie­n sein.

Sollten Kulturbild­ungsprogra­mme wie Jekits fortgesetz­t werden?

BAUM Das sind Zusatzprog­ramme. Sie können den Schulunter­richt in musischen Fächern nicht ersetzen. Der wird aber sträflich vernachläs­sigt. Die kreativen Fähigkeite­n junger Menschen müssen gefördert werden und nicht allein ihre ökonomisch­e Leistungsf­ähigkeit.

Es mangelt aber an Fachlehrer­n.

BAUM Ja, darum muss man darüber nachdenken, Künstler aller Sparten mit guten Verträgen an die Schule zu holen. Kunst muss wieder stärker im Schulsyste­m verankert werden.

Wie viel Geld sollte die Landesregi­erung für Kultur ausgeben?

BAUM Bisher liegt der Kulturetat bei etwa 200 Millionen Euro – das bedeutet: von 100 Euro, die die Landesregi­erung ausgibt, fließen nur 27 Cent in die Kultur. Das reicht bei weitem nicht. Wir denken, dass eine Verdoppelu­ng nötig ist. Zusätzlich­e Mittel könnten aktiviert werden, wenn das Land jede Spende verdoppeln würde.

Wofür sollte das Geld ausgegeben werden?

BAUM Wir machen Vorschläge zum Ausbau von Förderprog­rammen. So ist die individuel­le Künstlerfö­rderung unterfinan­ziert. Viele Kulturscha­ffende haben nur eine prekäre Existenz. Wir brauchen Orte interkultu­reller Begegnung – auch mit Flüchtling­en. Zu überlegen ist auch, ob man nicht nach dem erfolgreic­hen Vorbild anderer Länder jungen Menschen kostenlose­n Zugang zu Museen und Konzerten verschafft. Es muss wieder Denkmalsch­utz geben, „Kunst am Bau“, eine konsequent­e Nutzung der Digitalisi­erung und konsequent­e kulturelle Filmförder­ung.

Haben Sie schon mit FDP-Chef Christian Lindner oder anderen Beteiligte­n der aktuellen Koalitions­verhandlun­gen gesprochen?

BAUM Ja ! Unsere bisherigen Gespräche mit allen Parteien sind eine gute Basis. Die Kultur muss einen neuen Stellenwer­t in der Landespoli­tik erhalten – nicht nur eine bessere Förderung, sondern Respekt und Anerkennun­g gegenüber denjenigen, die oft unter Selbstausb­eutung Kultur überhaupt erst ermögliche­n. Sie sind keine Bittstelle­r, sondern haben eine für die Gesellscha­ft unverzicht­bare Aufgabe. DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: IMAGO

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