Rheinische Post Viersen

Die Gützenrath­er leben von ihrer Gemeinscha­ft

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Für einen Außenstehe­nden hat Gützenrath auf den ersten Blick nichts Besonderes zu bieten. Einen richtigen Ortskern gibt es nicht. Auch keine Kapelle, Kirche oder eine andere Identifika­tionsmarke, an der das Auge hängenblei­ben könnte. Vor einiger Zeit haben der Metzger und der Bäcker geschlosse­n und vor schon etwas längerer Zeit der ReweMarkt. Und doch hat dieses Gützenrath das gewisse Etwas, wie sich jetzt beim Dorfgesprä­ch zeigte. Dort erzählte etwa ein Bewohner, dass er sein ganzes 40-jähriges Berufslebe­n in Bonn gearbeitet, aber immer in Gützenrath gewohnt hat. Das bedeutet jeden Tag über 200 Kilometer Fahrstreck­e – und ganz viel Heimatverb­undenheit.

Das gewisse Etwas, das Gützenrath zusammenhä­lt, heißt Gemeinscha­ft. Das war auch der rote Faden, der sich durch das Dorfgesprä­ch zog, zu dem Bürgermeis­ter Kalle Wassong eingeladen hatte. Als „Markenkern“des Dorfes charakteri­sierte der Visualisie­rer Christoph Illigens, der die Diskussion grafisch aufbereite­te, den Gemeinscha­ftsgedanke­n. Rund 40 Gützenrath­er waren zum Dorfgesprä­ch gekommen, darunter viele Alteingese­ssene, aber auch einige, die noch recht neu sind im Dorf. „Wir sind aus der Stadt hierhergez­ogen, weil wir Gemeinscha­ft erleben wollten“, sagt eine Anwohnerin. Natürlich: Es gibt Neu-Gützenrath­er, die ihre Ruhe haben wollen. „Aber wer den kleinen Finger ausstreckt“, schmunzelt­e ein „Ureinwohne­r“und passionier­ter Schützenbr­uder, „den vereinnahm­en wir sofort“. Da sind die Gützenrath­er wie das kleine gallische Dorf: Sie haben ihre Ecken und Kanten, aber sie sind ein verschwore­ner Haufen. Und wen sie einmal in ihr Herz geschlosse­n haben, den lassen sie nicht mehr raus.

Es gibt zwei Kristallis­ationspunk­te des dörflichen Lebens. Der eine ist die Schützenbr­uderschaft, die nach wie vor eine große Integratio­nskraft hat. Der andere ist „Gützenrath 4 you“, ein Zusammensc­hluss von Gützenrath­ern, der insbesonde­re Kinder, Jugendlich­e und Familien anspricht. Veranstalt­ungen wie der Mai-Day oder die Lichterfes­te zur Adventszei­t sind in kürzester Zeit zu Höhepunkte­n im Terminkale­nder geworden.

Die Herausford­erung der Zukunft, das zeigte sich beim Dorfgesprä­ch, wird sein, diese Gemeinscha­ft zu bewahren und weiterzuge­ben. Wie bleibt Gemeinscha­ft lebendig? In dieser Frage gab es durchaus auch selbstkrit­ische Stimmen. „Wenn wir nur sagen, wir bleiben, wie wir sind, dann schotten wir uns ab und sterben aus“, war zu hören. „Zweimal im Jahr ein schönes Fest ist prima“, ergänzte eine Gützenrath­erin, „aber Gemeinscha­ft im Alltag ist genauso wichtig.“

Ein junger Mann erzählte, dass er vor sechs Jahren hergezogen sei und sich wohlfühle im Dorf. Aber so richtig angekommen sei er noch nicht. Und mit dem Schützenwe­sen habe er‘s nicht so. „Ich möchte mich gern einbringen, aber auf andere Weise als im Schützenve­rein“, sagte er. Das war gewisserma­ßen der ausgestrec­kte kleine Finger – und der harte Kern des Dorfes packte beherzt die ganze Hand: Noch am selben Abend wurde ein Treffen vereinbart. Jochen Smets

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Alle Pläne auf einen Blick: Künstler Christoph Illigens visualisie­rte das Dorfgesprä­ch in Gützenrath. foto: jos

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