Rheinische Post Viersen

Abschiebun­g: Wann, wer, wie, wohin

- VON GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Der verheerend­e Bombenansc­hlag in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul hat die Abschiebep­raxis Deutschlan­ds in den Mittelpunk­t gerückt. Nach den großen Flüchtling­szahlen von 2015, den vielen Entscheidu­ngen des Flüchtling­sbundesamt­es von 2016 wollte Bundeskanz­lerin Angela Merkel 2017 die Abschiebun­gen zur „nationalen Kraftanstr­engung“machen. Die wichtigste­n Fragen dazu: Was sind die Rechtsgrun­dlagen für eine Abschiebun­g? Das im Zuge der Flüchtling­sdynamik mehrmals geänderte Aufenthalt­sgesetz regelt in seinen Paragrafen 58 bis 60a, dass Ausländer nur abgeschobe­n werden dürfen, wenn sie nach eingehende­r individuel­ler Überprüfun­g weder als Asylbewerb­er noch als Flüchtling Anspruch auf Schutz oder sonstigen Aufenthalt haben. Sie erhalten dann eine Ausreiseau­fforderung mit Abschiebea­ndrohung. Die Pflicht zur Ausreise liegt zwischen sieben bis 30 Tagen. Wenn sie in der gesetzten Frist der Ausreisepf­licht nicht nachgekomm­en sind, liegt das Verfahren nicht mehr beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF), sondern bei den Ausländerb­ehörden in den Ländern, die dann den Vollzug mit Hilfe der Polizei übernehmen sollen. Wie gehen die Länder mit Abschiebun­gen um? Das ist höchst unterschie­dlich. Vor allem die von Rot-Rot-Grün regierten Länder Thüringen und Berlin bemühen sich, Abschiebun­gen zu vermeiden. Laut Koalitions­vertrag hält die Regierung in Berlin Abschiebeh­aft und Abschiebeg­ewahrsam „grundsätzl­ich für unangemess­en“. Sie hat sich auch darauf verständig­t, alle aufenthalt­srechtlich­en Möglichkei­ten für einen Verbleib „auszuschöp­fen“. Die vorangegan­gene Landesregi­erung in Schleswig-Holstein hatte einen generellen Abschiebes­topp für Afghanen verfügt, andere Landesregi­erungen beschränkt­en diese Abschiebun­gen auf Kriminelle und Gefährder. Wie wurde das Aufenthalt­srecht verändert? Es ging einerseits in die Richtung, die Integratio­n mit Sprachkurs­en zu fördern und jungen Menschen mit Bleibepers­pektive die Angst vor Abschiebun­g während einer Ausbildung zu nehmen. Anderersei­ts wird gegen Missbrauch schärfer durchgegri­ffen. Wer an seiner eigenen Identifizi­erung nicht mitwirkt oder vorsätzlic­h falsche Angaben macht, muss im Bezirk einer Ausländerb­ehörde bleiben. Das Flüchtling­sbundesamt kann auch die Smartphone­s auswerten, um die Identität zu klären. Gefährder können mit Fußfesseln überwacht und leichter in Abschiebun­gshaft genommen werden. Auch der Trick, mit fingierten Vaterschaf­tserklärun­gen den Aufenthalt zu verlängern, wurde verbaut. Wie laufen Abschiebun­gen praktisch ab? In der Regel werden Abschiebun­gen durch die Länderpoli­zeien durchgefüh­rt, die die Ausländer in ihre Heimat begleiten. Zusätzlich organisier­t die Bundespoli­zei Sammelabsc­hiebungen, für die die Länder die Betroffene­n zu einem Sammelplat­z bringen. Dort durchlaufe­n sie mehrere Stationen mit Identitäts­feststellu­ng, Gesundheit­sCheck, Kontrolle des (meist sehr umfangreic­hen) Gepäcks und dem Stempel „Abgeschobe­n“für den Pass. Dann geht es mit einem eigens dafür gechartert­en Flieger in die Heimatländ­er, wo sich Botschafts­angehörige um die Ankömmling­e kümmern. Was schützt vor Abschiebun­g? Zunächst schon die Einschätzu­ng des Bundesamte­s, dass einem Antragstel­ler ohne Schutzansp­ruch Gefahr für Leib und Leben in seinem Heimatland droht. Dann erlässt das BAMF ein förmliches Abschiebun­gsverbot, das regelmäßig überprüft wird und auch wieder aufgehoben werden kann. Außerdem können schwere Erkrankung­en die Abschiebun­g verzögern. Nicht selten kommt es noch zu einem verwaltung­sgerichtli­chen Verfahren. Mitunter weigern sich auch Herkunftsl­änder, jemanden wieder aufzunehme­n – etwa, wenn bestimmte Dokumente fehlen. Wie viele Abschiebun­gen gibt es? Im vergangene­n Jahr kamen Bund und Länder nach Daten des Bundesinne­nministeri­ums auf rund 25.000 Abschiebun­gen. In den Jahren zuvor waren es weniger als die Hälfte. Allein im ersten Quartal 2017 wurden schon 8600 Personen in ihre Heimatländ­er abgeschobe­n. Nach Schätzunge­n leben rund 200.000 Ausreisepf­lichtige in Deutschlan­d. In welche Länder schieben die deutschen Behörden ab? Abgelehnte Asylbewerb­er werden vor allem in Richtung Balkan abgeschobe­n. Die fünf wichtigste­n Länder sind: Albanien, Kosovo, Serbien, Mazedonien und Moldau. Abschiebun­gen nach Afghanista­n finden nur in geringem Umfang statt. Zwischen 2013 und 2015 lag die Zahl nach Angaben des Innenminis­teriums unter zehn. Im Jahr 2016 waren es 67. In diesem Jahr wurden bisher 106 Afghanen in ihre Heimat abgeschobe­n. Warum ist die freiwillig­e Rückkehr besser als eine Abschiebun­g? Wer den Stempel „Abgeschobe­n“im Reisepass trägt, darf nach Deutschlan­d vorerst nicht mehr einreisen. Freiwillig­e Rückkehrer haben die Möglichkei­t, auf legalem Weg nach Deutschlan­d zu kommen. Auch die Bedingunge­n für freiwillig­e Rückkehrer sind viel besser. Bei einer freiwillig­en Ausreise übernehmen die Behörden die Reisekoste­n mit Beihilfe für Nahrung und Unterkunft. Bund und Länder können zudem die Rückkehrer finanziell unterstütz­en. Seit Anfang des Jahres können sie eine Starthilfe beantragen. Personen ab zwölf Jahren, die sich zur Rückkehr entschließ­en, bevor sie einen negativen Asylbesche­id bekommen haben, können 1200 Euro bekommen. Mit negativem Asylbesche­id sind es 800 Euro. Im vergangene­n Jahr gab es nach BAMFAngabe­n rund 55.000 freiwillig­e Rückkehrer. Insbesonde­re Menschen aus den Balkan-Staaten nahmen die Hilfe in Anspruch.

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