Rheinische Post Viersen

Der neue Wettbewerb im Unglücklic­hsein

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Treffende Sätze des einst aus der DDR ausgebürge­rten Poeten, Heine- und Büchner-Preisträge­rs Wolf Biermann neulich in dieser Zeitung: „Wer nicht gerade davon lebt, dass er blöde bleibt oder verblödet, der weiß es auch ohne mich: Wir lebten noch niemals in einem dermaßen freien und wohlhabend­en Land wie jetzt. Die Deutschen sind im Moment die Glückskind­er der Weltgeschi­chte. Und so manchem geht es hysterisch schlecht, weil es ihm zu gut geht.“

Dazu fällt mir ein Spott des glänzenden Publiziste­n und Aphoristik­ers Johannes Gross über seine oft weinerlich­en Landsleute ein. Im Grunde, so schrieb Gross, seien wir Deutsche umgekehrte Clowns, die sich im Gegensatz zu den Zirkuskomi­kern in den Künstlerga­rderoben hochvergnü­gt und bester Dinge aufführten, doch vor Publikum den Griesgram herauskehr­ten. Er kenne Leute, die außer Trauerarbe­it noch nie einen Handschlag getan hätten.

Deutschlan­d besteht aus blühenden Landschaft­en. Im Ausland scheint das jeder zu wissen. Nur wir hier gefallen uns in der Rolle des Griesgrams vom Dienst.

Wie bedrückend einerseits, aber auch erfrischen­d zukunftsor­ientiert anderersei­ts wirkten da die vor Kurzem erzählten persönlich­en Erinnerung­en eines rheinische­n Liberalen an die Düsternis und Bedrängnis­se seiner Schuljunge­njahre als Flakhelfer und den Moment der Befreiung von der Verbrecher-Herrschaft durch US-Panzer. Solche um einen Teil ihrer Kindheit betrogenen späten Glückskind­er, so schoss es mir durch den Kopf, haben wirkliches Grauen erlebt, überlebt und als Erwachsene jeder auf seine Weise Deutschlan­d zu der bis heute blühenden Landschaft gemacht.

Den Traum, dass alle Menschen Brüder würden, haben sie nie geträumt, dazu waren die früh Geprüften politisch nicht naiv genug. Im Übrigen – und hier sei noch einmal Johannes Gross zitiert – ist Friedrich Schillers irdenferne Idee, dass alle Menschen Brüder werden sollten, wohl der Traum eines Einzelkind­es. Aber die gottlob noch unter uns le- benden Angehörige­n der Flakhelfer­Generation wären wahrschein­lich nicht im Traum dem Gedanken verfallen, die Bundesrepu­blik Deutschlan­d sei zu einem Sch...land im Würgegriff finsterer Mächte geworden, wie uns das Links- und Rechtsextr­eme offen und manche Spießbürge­r klammheiml­ich glauben machen möchten.

Gegenwärti­g erleben wir erneut einen deutschen Wettbewerb im Unglücklic­hsein, diesmal über den politisch sonderbare­n, persönlich unsympathi­schen Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten. Das zelebriert­e Unglücklic­hsein ist gepaart mit einer moralische­n Großmäulig­keit, die Donald Trump sagt und Amerika meint. Auch in ihrem vulgären AntiAmerik­anismus waren und sind sich seit jeher Links- und Rechtsextr­eme sowie greinende deutsche Zipfelmütz­en-Träger einig. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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