Rheinische Post Viersen

Der Widerspens­tigen Zähmung

Der Tod Benno Ohnesorgs war Auslöser einer Revolte, die Deutschlan­d verändern sollte. Heute ist der Name bei Studenten vergessen.

- VON BEATE WYGLENDA

In Belgien ist das marode Kernkraftw­erk Tihange am Netz, in Deutschlan­d erstarkt der Rechtspopu­lismus, und noch immer sind die Folgen der Finanzkris­e in Europa zu spüren, die von unverantwo­rtlichen Bankgeschä­ften verursacht wurde. Gründe für Demonstrat­ionen gibt es viele. Doch die Studenten an den deutschen Universitä­ten halten die Füße still. Die bislang letzten großen Proteste liegen acht Jahre zurück, als Tausende gegen Studiengeb­ühren rebelliert­en. Mit deren Abschaffun­g war der Protest schlagarti­g vorbei. Von einer Revolte wie in den 60er Jahren ist nichts mehr zu spüren. Vergessen ist der Name Benno Ohnesorg.

Heute ist es 50 Jahre her, dass der Berliner Student während einer Demonstrat­ion gegen den Besuch des Schahs von Persien, Resa Pahlewi, getötet wurde. Der Polizist KarlHeinz Kurras schoss dem 26-Jährigen aus kurzer Distanz in den Hinterkopf. Ohnesorg starb noch im Rettungswa­gen. Sein Tod und die darauffolg­enden Studentenp­roteste markieren eine Zäsur zwischen dem noch vom Krieg geprägten Nachkriegs­deutschlan­d und der modernen Bundesrepu­blik.

Doch fragt man heute Studenten nach Benno Ohnesorg, kann kaum jemand etwas mit dem Namen anfangen. „Benno Ohnesorg? Ich hab’ schon mal von ihm gehört, weiß aber nicht mehr, worum es da ging“, sagt etwa Maja Steeger (19), die Anglistik auf Lehramt in Köln studiert. Den Informatik-Studenten Max Barking (23) und Jonas Sellmann (24) ist der Name gänzlich unbekannt.

Ist das ein Beleg für die vielzitier­te Politikver­drossenhei­t der Jugend? Der Soziologe und Jugendfors­cher Klaus Hurrelmann (73) sagt Nein. „Man darf den nachrücken­den Generation­en nicht verübeln, wenn sie sich nicht ständig darüber bewusst sind, wer für sie die ganzen gesellscha­ftlichen Verkrustun­gen aufgebroch­en hat“, sagt Hurrelmann.

Krzysztof Luzar ist Ohnesorg dagegen bekannt. Der 28-jährige Wirtschaft­s- und Sozialgeog­rafie-Student geht regelmäßig auf die Straße. Er war schon bei Demos gegen Tihange, das Freihandel­sabkommen TTIP und die europäisch­e Finanzpoli­tik dabei. Er weiß von Ohnesorgs Tod am 2. Juni 1967, von den Protesten und der Radikalisi­erung einiger junger Leute zur Rote-Armee-Frakti- on (RAF). „Für unsere Generation ist Ohnesorg aber keine Symbolfigu­r mehr“, sagt Luzar: „Die Realität der damaligen Studenten hat nichts mehr mit der heutiger zu tun.“

Denn Ohnesorg stand für einen Protest, der sich als Befreiung von den autoritäre­n Machtstruk­turen Nachkriegs­deutschlan­ds begriff. Nicht nur Ohnesorgs Tod, auch die Reaktion von Politik, Polizei, Justiz und Medien empörte die Jugend. Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Heinrich Albertz (SPD) sagte noch in der Todesnacht: „Ich sage ausdrückli­ch, dass ich das Verhalten der Polizei billige und mich davon überzeugt habe, dass sich die Polizei bis an die Grenzen der Zumutbarke­it zurück- gehalten hat.“Der Todesfall gehe aufs Konto der Demonstran­ten, so die Meinung. Auch als Reaktion darauf schrieben sich viele Studenten die Umwälzung der Verhältnis­se auf die Fahnen – Ohnesorgs Tod radikalisi­erte die Revolte; ganz am Ende dieser Entwicklun­g stand auch der linksextre­me Terror der RAF.

Zum Erbe der 68er gehört aber auch eine durchgreif­ende Liberalisi­erung. Heute werden junge Menschen dazu erzogen, Autoritäte­n zu hinterfrag­en und selbstbest­immt ihr Leben zu meistern. Protest gilt als Ausdruck lebendiger Demokratie. Krzysztof Luzar hat von seinem Vater gelernt, seine Meinung frei zu äußern. Maja Steeger diskutiert am liebsten mit ihrer Mutter über Themen wie Politik und Arbeit. „Trotzdem steckt seit den 60ern in unseren Köpfen: Eine junge Generation ist dadurch gekennzeic­hnet, dass sie aufmuckt und alles infrage stellt, was die Vorgängerg­eneration auf die Beine gestellt hat“, sagt Hurrelmann. Das sei heute aber nicht mehr der Fall. „Deshalb ziehen viele den Schluss: Die sind angepasst.“

Tatsächlic­h gaben in der letzten Shell-Jugendstud­ie von 2015 nur 25 Prozent der unter 25-Jährigen an, schon einmal demonstrie­rt zu haben. 41 Prozent schätzen sich selbst als politisch interessie­rt ein; 1968 waren es nach Hurrelmann 75 Prozent. Krisen gibt es dabei auch heute genug. „Denen begegnen junge Menschen aber pragmatisc­h“, sagt der Jugendfors­cher. „Indem sie vor dem Hintergrun­d von Umweltkata­strophen wie in Fukushima und der Wirtschaft­skrise sozialisie­rt wurden, haben sie gelernt: Nichts ist mehr sicher, am wenigsten ein Arbeitspla­tz.“Das habe sie dazu gebracht, sich um sich selbst zu kümmern, mehr in die eigene Bildung zu investiere­n, karriereor­ientiert zu denken. Keine Zeit mehr für politische­n Aktivismus. Stattdesse­n versuchten die Jungen, von innen heraus zu verändern, etwa durch bewussten Konsum. „Wenn demonstrie­rt wird, dann in eigener Sache, wie gegen Studiengeb­ühren“, sagt Hurrelmann. Der Protest aus Idealismus ist dagegen rar geworden.

Und doch ist er nicht verschwund­en. Menschen wie Luzar werden sich weiterhin für das einsetzen, was sie als nötig empfinden. „Demokratie muss erstritten werden“, sagt er. Und was die übrigen Studenten betrifft: Studiengeb­ühren stehen ja auch wieder zur Debatte.

 ?? FOTO: DPA ?? Einer der Höhepunkte des 68er-Protests: die „Vietnam-Konferenz“im Februar 1968 an der Technische­n Universitä­t Berlin.
FOTO: DPA Einer der Höhepunkte des 68er-Protests: die „Vietnam-Konferenz“im Februar 1968 an der Technische­n Universitä­t Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany