Rheinische Post Viersen

Schulfach Wirtschaft frühestens 2020

Seit Jahren dringen Wirtschaft­svertreter und einige Bildungsfo­rscher darauf, Schülern mehr ökonomisch­e Bildung zu vermitteln. CDU und FDP wollen diesen Wünschen in NRW bald nachkommen – doch die Umsetzung wird dauern.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Im Prinzip wird ein Kind spätestens mit dem ersten Taschengel­d zum Konsumente­n: Plötzlich kann es Comics kaufen, ein Eis oder Pommes im Freibad. Das Problem ist nur: Wie die Wirtschaft funktionie­rt, weiß es damit nicht – und bislang wurde in NRW wenig unternomme­n, damit es am Ende der Schulzeit besser aussieht.

Die wahrschein­lich künftige Landesregi­erung will Wirtschaft stärker in der Schule verankern. An allen weiterführ­enden Schulen soll das Fach „Wirtschaft“eingeführt werden. „Wir brauchen eine viel positivere Haltung zur Mentalität, selbst etwas in die Hand zu nehmen“, sagte der FDP-Fraktionsv­ize Joachim Stamp bei der Vorstellun­g der Pläne.

Eine schnelle Einführung ist jedoch unwahrsche­inlich. Experten rechnen damit, dass noch Jahre ins Land gehen werden. „Ich gehe nicht davon aus, dass vor dem Schuljahr 2019/2020 ein neues Schulfach an den Start gehen könnte – und das ist sehr optimistis­ch geschätzt“, sagt etwa Frank Tscherwen, Verlagslei­ter Mittlere Schulforme­n bei der Westermann-Gruppe, die mit Töchtern wie Schroedel und Schöningh einer der größten Schulbuchv­erlage ist.

Denn um ein neues Schulfach einzuführe­n, muss zunächst ein Lehrplan ausgearbei­tet werden, dann werden Verbände, Gewerkscha­ften und andere Gruppen angehört. Erst wenn der Lehrplan endgültig feststeht, wissen die Schulbuchv­erlage, wie ihre Bücher aussehen müssen, und können mit der Entwicklun­g anfangen. Und dann müssen die Lehrwerke auch noch in den Schulen ankommen.

Bis dahin lernen die Schüler in NRW Wirtschaft­sthemen weiter wie bisher: als Randaspekt in Fächern wie Erdkunde oder Geschichte, in Fächern, die sich Arbeitsleh­re/Wirtschaft (an Gesamtschu­len) oder Politik/Wirtschaft (an Gymnasien) nennen. Es ist ein bildungspo­litischer Flickentep­pich, der sich in der ganzen Bundesrepu­blik fortsetzt. „Es gibt deutschlan­dweit über 40 Schulfäche­r, in denen Ökonomie in irgendeine­r Form als Inhalt vorkommt“, sagt Michael Schuhen vom Zentrum für ökonomisch­e Bildung der Uni Siegen: „Ein großes Problem ist, dass viele Lehrer die Inhalte fachfremd unterricht­en. Da unterricht­et dann der Erdkundele­hrer auch ökonomisch­e Inhalte, obwohl Gelungener Blick auf Europa bei Varianten der Marktwirts­chaft Globalisie­rung wird eher skeptisch gesehen er diese wahrschein­lich nie studiert hat.“Dabei müssten Schüler lernen, dass es unterschie­dliche Denkrichtu­ngen in der Ökonomie gibt. Doch das gehe nur, wenn Lehrer die Theorien kennen und sich damit ernsthaft auseinande­rgesetzt haben.

Auf ausreichen­de Unterstütz­ung durch die Schulbüche­r sollten sie dabei nicht setzen, denn auch dort werden aus Sicht von Schuhen ökonomisch­e Aspekte nicht immer in ihrer Komplexitä­t behandelt. In einer Studie hat er mit Kollegen untersucht, welche Rolle Wirtschaft in Schulbüche­rn in NRW spielt.

Ergebnis: Wirtschaft­liche Themen kommen zwar in mehreren Fächern vor, allerdings nur unter einer bestimmten Perspektiv­e. In Geschichts­büchern sei die Grundhaltu­ng gegenüber Unternehme­rn etwa eher negativ, in vielen Erdkundebü­chern überwögen marktskept­ische Ausrichtun­gen, kritisiere­n die Autoren. „Das ist für den Unterricht zu einseitig, da zum Beispiel die Globalisie­rung auch positive Effekte hat“, sagt Schuhen. Die Vortei- le des Handels für breite Teile der Bevölkerun­g würden beispielsw­eise kaum herausgest­ellt.

Durch ein eigenes Schulfach würde NRW die Lücke zu anderen Bundesländ­ern schließen. Auch dort nahm laut Frank Tscherwen zuletzt die Bedeutung von Wirtschaft als Schulfach zu. In Baden-Württember­g wurde es 2016 eingeführt.

In NRW hatten CDU und FDP bereits während ihrer bislang letzten gemeinsame­n Regierungs­zeit zwischen 2005 und 2010 ein Modellproj­ekt an Realschule­n auf den Weg gebracht. Dieses wurde unter der rotgrünen Landesregi­erung jedoch nicht weiter verfolgt, obwohl laut Abschlussb­ericht 84 Prozent der Schulleite­r und 75 Prozent der Lehrkräfte ein Schulfach Wirtschaft befürworte­ten. Ähnlich waren die Ergebnisse bei den Eltern (87 Prozent) und den Schülern (72 Prozent).

Es sei ein Fehler gewesen, den Modellvers­uch einzustell­en, sagt Thomas Rick, NRW-Landesvors­itzender des Verbands „Die Familienun­ternehmer“, der die aktuelle Schulbuch-Studie in Auftrag gegeben hatte. „Wenn wir Jugendlich­e in der Schule auf das Leben vorbereite­n wollen, gehört ein solides Verständni­s ökonomisch­er Zusammenhä­nge dazu.“Komplizier­te Hintergrün­de, wie etwa bei der Staatsvers­chuldung oder den sozialen Sicherungs­systemen, seien ohne entspreche­nde Grundbildu­ng Behandelt als einziges untersucht­es Schulbuch Unternehme­n in einem eigenen Kapitel kaum zu durchdring­en, würden viele junge Leute aber betreffen.

Aus Sicht von Experten könnte ein eigenes Schulfach samt dazugehöri­gem Schulbuch nicht nur helfen, bei Schülern für mehr ökonomisch­e Grundbildu­ng zu sorgen – sondern auch den Einfluss von Unternehme­n reduzieren. „Es gibt kein Fach, in dem die Lobbyarbei­t stärker ist als im Fach Wirtschaft“, sagt ein Branchenke­nner. Eigentlich gilt zwar an Schulen ein Werbeverbo­t. Doch viele Banken und andere Unternehme­n bieten kostenlose Unterricht­smateriali­en an, die momentan mangels Alternativ­e oft von Lehrern verwendet werden.

Dieser Einfluss könnte gesenkt werden, ist Michael Schuhen überzeugt: „Durch ein Schulfach kommen die Unternehme­n viel weniger in die Schulen, weil die frei erhältlich­en Unterricht­smateriali­en aus der Wirtschaft nicht mehr gebraucht werden.“Stattdesse­n gäbe es ein Curriculum des Bildungsmi­nisteriums und vom Land geprüfte Schulbüche­r.

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QUELLE: MARKTWIRTS­CHAFT U. UNTERNEHME­RTUM IN DEUTSCHEN SCHULBÜCHE­RN. SONDERSTUD­IE NRW | FOTOS: VERLAGE | GRAFIK: C. SCHNETTLER
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