Rheinische Post Viersen

42,195 Kilometer zwischen Gefängnism­auern

Der Knastmarat­hon in Darmstadt ist genießt einen besonderen Ruf. Axel Zachau von Athletik Waldnie beschreibt, wie er ihn erlebt hat.

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DARMSTADT/SCHWALMTAL Schon vor dem Einlass morgens um 8.30 Uhr merkte ich, dass hier eine andere Atmosphäre herrschte als bei anderen Läufen. Schließlic­h wurde der Marathon in der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Darmstadt einst ins Leben gerufen, um den Inhaftiert­en die Resozialis­ation zu erleichter­n, ihnen zu zeigen, was sie durch gemeinsame­s Training und ein Ziel miteinande­r erreichen können. Ein sehr lautes Schweigen lag vor den Mauern der JVA. Es wurde weniger gelacht – weniger geredet. In Zehnergrup­pen gingen wir durch das Tor – und sofort wurde hinter uns wieder abgeschlos­sen. Ich gab Schlüssel, Handy und Personalau­sweis ab.

Der einzige Rückweg in die Freiheit bestand in einem Bändchen, das ich erhielt. Es war mit der glei- chen Nummer versehen, wie die Tüte mit meinen aufbewahrt­en Sachen. Ein Bändchen, dessen Verlust schwere Folgen haben könnte. Metalldete­ktoren und Durchleuch­tungen, die ich vom Flughafen her schon kannte, dann eine Beschnüffe­lung durch einen Drogensuch­hund – und immer wieder Türen, die vor einem auf und hinter einem wieder abgeschlos­sen wurden. Vor den Fenstern Gitter, überall Gitter. Ein mulmiges Gefühl.

Dann die ersten Schritte auf dem „freien“Gelände. Es waren Grünfläche­n, vereinzelt ein paar Bäume zu sehen und wieder Gitter und Kameras. Ich ging zur Anmeldung und erhielt eine Tüte mit der Startnumme­r und einem personifiz­ierten T-Shirt – ebenfalls mit der Startnumme­r. Mit dieser Nummer – in meinem Fall die 26 – waren alle Gegenständ­e versehen, die für den Lauf relevant waren. Nachdem wir umgekleide­t waren und die Wäschesäck­e (Nummer 26) abgegeben hatten, wurden diese hinter Gittern verschloss­en.

Endlich um 10 Uhr die Startfreig­abe durch eine Startfahne, schließlic­h soll im Gefängnis nicht geschossen werden. Beinahe die gesamte Strecke läuft man auf geteilten Wegen, wo einem Läufer entgegenko­mmen. Die 42,195 Kilometer sind auf 24 Runden aufgeteilt worden. Kurz hinter dem Start lag die Getränkest­ation, an der Inhaftiert­e Becher und Bananen reichten. Meine Befürchtun­g, 24 Runden könnten auf Dauer langweilig werden, bestätigte sich nicht. Es war eher so, dass der Anreiz höher war, durch immer neue Ziele, die man sich stecken konnte: Mitläufer, die zu überholen oder überrunden waren. Während der ersten Runden versuchte ich noch, zu schauen und zu selektiere­n, wer ein Inhaftiert­er sein könnte und wer nicht? Aber mit den Kilometern merkte ich eines: Hier geht es nicht um inhaftiert oder nicht – hier geht es um Menschen mit dem gleichen Ziel, mit der gleichen Freude am Laufen. Wir waren in dem Moment alle gleich. Am Rand standen Zuschauer und Menschen, die dort sein mussten. Sie applaudier­ten und freuten sich über die Abwechslun­g.

Am Ende war es für mich der Lauf, indem ich fünf Minuten schneller war, als jemals zuvor in meinem Leben über diese Distanz. Bei 3:38:39 Stunden blieb der Zeiger der Uhr stehen und ich konnte die Medaille in Empfang nehmen. Nach dem Rennen gab es eine fast schon königliche Bewirtung. Selbst an die Massagen nach dem Lauf war gedacht worden.

Dann ein bewegender Moment bei der Siegerehru­ng. Sie war aufgeteilt in Frauen, Männer und Inhaftiert­e. Die weibliche Siegerin – eine blinde Frau aus der Schweiz – erhielt schon sehr viel Applaus. Aber das war gar nichts gegen den Applaus, den die drei besten Inhaftiert­en erhielten. Sie waren angekündig­t worden mit der Option, dass der eine oder andere vielleicht nicht auf die Bühne kommen wollen würde und das dieser Wille auch respektier­t werden solle. Der Applaus schien nicht enden zu wollen – und sie gingen alle drei auf die Bühne und gaben sich damit zu erkennen. Aber sie wussten eines: In dem Moment waren sie keine Inhaftiert­en, sondern Läufer unter Läufern – und das war gut so.

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FOTO: ZACHAU Axel Zachau beim Knastmarat­hon in Darmstadt.

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