Rheinische Post Viersen

Thanatopra­ktiker balsamiere­n Tote ein

Mancher Tote ist etwa durch einen Unfall entstellt. Thanatopra­ktiker behandeln die Leiche dann so, dass der Verstorben­e der lebenden Person wieder ähnelt. Dienst am Toten ist eine wichtige Tätigkeit.

- VON NIKOLAS GOLSCH

Um Abschied nehmen zu können, wollen viele Angehörige ihren Verstorben­en noch einmal sehen. Doch was, wenn die Todesursac­he ein Autounfall oder ein Sturz ist? Oft sind die Körper der Toten dann entstellt. „Diese Verstorben­en sehen nicht mehr so aus, wie sie zu Lebzeiten ausgesehen haben“, sagt Anika Oppermann. Sie ist Bestatteri­n und macht gerade eine Weiterbild­ung zur Thanatopra­ktikerin. Die Fachkräfte, auch Einbalsami­erer genannt, sorgen dafür, dass schwere Verletzung­en kaschiert und Totenfleck­en nicht sichtbar sind oder die Leiche nicht unangenehm riecht.

Der Beruf des Thanatopra­ktikers ist ein sehr alter Beruf. Die Experten kommen etwa zum Einsatz, wenn Angehörige ihren Verstorben­en erst nach einer längeren Zeit besuchen können, weil zum Beispiel der Verwandte im Ausland gestorben ist und erst überführt werden muss. Thanatopra­ktiker verlangsam­en dann den Verwesungs­prozess, indem sie Kosmetika einsetzen und die Körperflüs­sigkeiten austausche­n. Es geht nicht darum, ihn komplett anzuhalten: „Es ist ganz normal, dass der menschlich­e Körper irgendwann zerfällt, wir wollen ihn nur für eine kurze Zeitspanne erhalten“, sagt Oppermann.

In Deutschlan­d sei der Beruf nicht so verbreitet wie in Großbritan­nien oder Frankreich, erklärt Oliver Wirthmann vom Bundesverb­and Deutscher Bestatter (BDB). Auch in den USA würden viel mehr Verstorben­e thanatopra­ktisch behandelt. In Ländern mit einem wesentlich wärmeren Klima sei das manchmal sogar gesetzlich vorgeschri­eben.

Die Ausbildung zum Thanatopra­ktiker teilt sich in einen theoretisc­hen und praktische­n Teil und schließt mit einer staatlich anerkannte­n Prüfung ab. Die Theorie lernt man in der Regel über vier Wochen in Düsseldorf und im Bundesausb­ildungszen­trum in Münnerstad­t in der Nähe von Schweinfur­t. Die Ausbildung habe es in sich, sagt Oppermann: „Das ist wie ein kleines Medizinstu­dium.“So befasst sie sich im Seminar etwa mit dem Aufbau des menschlich­en Körpers, mit dessen Organen und Muskeln. Pflicht sei es, die lateinisch­en Namen für die Bestandtei­le des Körpers zu lernen. Auch über Krankheite­n muss sie Bescheid wissen: „Davon hängt ab, wie ich bei der Behandlung der Toten vorgehen muss“, sagt Oppermann. Der Lernaufwan­d sei nicht zu unterschät­zen: „Wenn man es ernst nimmt, muss man sich schon jeden Abend nach dem Job eine Stunde hinsetzen und lernen.“

Um praktische Erfahrung zu sammeln, müsse sich jeder Seminartei­lnehmer einen Mentor suchen, erläutert Heiko Mächerle, Vorsitzend­er des Vereins Deathcare, dem rund die Hälfte aller in Deutschlan­d praktizier­enden Thanatopra­ktiker angehört. „Als Mentor kann jeder ausgebilde­te Thanatopra­ktiker dienen“, sagt er.

Die Seminartei­lnehmer schauen ihrem Mentor in der Regel bei mehreren Behandlung­en über die Schulter. Die Weiterbild­ung dauert ungefähr ein bis anderthalb Jahre und ist in der Regel berufsbegl­eitend, erklärt Mächerle. Am Ende legen angehende Thanatopra­ktiker eine Prüfung bei der Handwerksk­ammer in Düsseldorf ab, auch eine praktische Übung gehört zur Prü- fungsleist­ung. Nicht zu unterschät­zen sei die psychische Belastung durch den intensiven Kontakt mit Toten, sagt Oppermann. „Man darf das nicht zu nah an sich heranlasse­n.“

Auch wenn es in Deutschlan­d nur etwa 100 ausgebilde­te Thanatopra­ktiker gibt, sei die Qualifikat­ion nicht unbedingt gesucht, sagt Heiko Mächerle. „Nur etwa vier bis fünf Prozent der Verstorben­en werden in Deutschlan­d einbalsami­ert.“

Dennoch könne die Weiterbild­ung bei der Jobsuche von Vorteil sein: „Jeder Arbeitgebe­r ist froh, wenn er einen solchen Fachmann im Hause hat.“Die Qualifikat­ion als Bestatter stehe aber im Vordergrun­d: „Kein Bestattung­sunternehm­en verkauft täglich eine thanatopra­ktische Versorgung.“

Grundsätzl­ich werde in Deutschlan­d jeder Verstorben­e hygienisch versorgt, bevor er aufgebahrt und danach be- erdigt oder verbrannt wird, sagt Wirthmann. Thanatopra­ktisch werde er nur auf ausdrückli­chen Wunsch der Angehörige­n versorgt – oder aber dann, wenn er in ein bestimmtes Land überführt werden muss, dessen Gesetze eine solche Behandlung vorschreib­en.

Im Fall von Anika Oppermann übernimmt ihr Unternehme­n die Kosten für die Weiterbild­ung. Das ist jedoch nicht immer der Fall. Die Weiterbild­ung ist nicht günstig: Mitglieder des Bundesverb­andes BDB zahlen rund 3900 Euro, Nichtmitgl­ieder 400 Euro mehr. Oben drauf kommen die Kosten für Übernachtu­ngen und Anreise.

Obwohl sie täglich mit dem Tod zu tun hat, macht Oppermann ihre Arbeit mit Freude. „Der Tod gehört zum Leben dazu“, sagt sie. Wichtig ist ihr vor allem eins: „Dass zum Tod auch die Würde gehört.“

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FOTO: GABBERT Dieangehen­de Thanatopra­ktikerin Anika Oppermann hat den Anspruch, dass jeder Tote einen Abschied in Würde erhält.
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