Rheinische Post Viersen

„Ich liebe meine Frau heute fast noch mehr als damals“

SPD-Chef Schulz gab in einer Talkrunde viel Privates preis. Anderen schadete so etwas schon.

- VON JAN DREBES

BERLIN Noch einmal geht es für Martin Schulz ein Stückchen bergab. Der SPD-Vorsitzend­e und Kanzlerkan­didat landet in einer gestern veröffentl­ichten Forsa-Umfrage nur noch auf Platz fünf der beliebtest­en Politiker. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die er im September beerben will, führt hingegen das Ranking an – und auch Außenminis­ter Sigmar Gabriel, dem Schulz an der SPD-Spitze nachfolgte, liegt vor dem Bewerber aus Würselen.

„Die Meinungsum­fragen sind derzeit kein Hochgenuss für mich“, bekennt Martin Schulz am Montagaben­d in einer Talkrunde der Zeitschrif­t „Brigitte“. Das Gesprächsf­ormat im Berliner Maxim-GorkiTheat­er sollte Schulz von einer Seite zeigen, „die Sie noch nicht kennen“, wie es von den Veranstalt­ern vorher hieß. Und Schulz sei die „kleine männliche Ausnahme“, sonst würden nur Frauen befragt, die als Vorbild dienen – etwa Angela Merkel.

Martin Schulz nimmt es sportlich, hält sich wacker an die Verabredun­g, jeweils einen von zwei Begriffen auszuwähle­n. „Agenda oder Angela?“Angela, sagt Schulz und gesteht, von ihr könne er lernen, „Nerven zu behalten“. Die zumeist weiblichen Zuschauer klatschen.

„Rausch oder Genuss?“Genuss! Anfangs wirkt Schulz sichtlich angespannt, antwortet teils verkrampft. Was denn ein Genuss für ihn sei, wollen Chefredakt­eurin Brigitte Huber und Kultur-Ressortlei­terin Meike Dinklage von Schulz wissen. Im Hintergrun­d wird ein Foto eingeblend­et, wie er an einer Imbissbude Pommes mit Currywurst verzehrt. Im Saal ist Lachen zu hören, Schulz dreht sich zum Foto um und sagt, er wisse, dass das in Saarlouis gewesen sei – denn dort habe er eine zweite Portion Pommes bekommen. Wieder Lachen, Schulz lächelt kaum merklich und gibt seine Antwort auf die Frage: „Rinderroul­ade nach dem Rezept meiner Schwiegerm­utter“, der Garten, den seine Frau Inge als Landschaft­sarchitekt­in so schön gestaltet habe, sonntäglic­hes Ausschlafe­n und die Landschaft und Kultur der Bretagne im Westen Frankreich­s.

Schulz, der an diesem Abend offen über seine überwunden­e Alkoholsuc­ht im Alter von 24 Jahren und die Psychother­apie spricht („Der Alkohol hätte mich getötet“), begann nach einer Ausbildung zum Buchhändle­r seine politische Karriere mit Anfang 30 als Bürgermeis­ter der nordrhein-westfälisc­hen Stadt Würselen. Nahe der Grenze zu Belgien und den Niederland­en, geprägt vom Bergbau, bleib Schulz seiner Heimat treu. Noch heute wohnt er dort. Schulz machte sich in der SPD schnell einen Namen, stieg im Europaparl­ament bis zum Präsidente­n auf. Keiner sitzt länger im SPD-Parteivors­tand (seit 1999). Und nachdem ihm Gabriel das Rennen überließ, will er nun Kanzler werden.

Den Wählern einen ungewohnte­n Blick ins Privatlebe­n zu ermögliche­n, ist vor allem im Wahlkampf eine beliebte Strategie von Politikern. Sie nutzen die große Nachfrage der Medien, besuchen Talkrunden, geben lange Interviews oder ermögliche­n bilderreic­he Homestorys in Boulevardm­edien.

Die Zugänge sind je nach Person unterschie­dlich, das Maß an Erfolg ebenfalls. Merkel, die noch keine Fotojourna­listen in die eigene Wohnung ließ, gab zumindest beim „Brigitte“-Format eingeschrä­nkt Auskunft, Urlaubsfot­os von ihr stammen jedoch fast ausschließ­lich von Paparazzi. Ganz anders Außenminis­ter Sigmar Gabriel, der als SPDChef mehrfach Foto- und Fernsehjou­rnalisten in seinen Garten in Goslar einlud, samt Aufnahmen von Ehefrau Anke und der ersten gemeinsame­n Tochter Marie. Gabriel nutzten solche Formate eher, seinem Parteifreu­nd Heiko Maas weniger. Der Bundesjust­izminister hatte dem Boulevard nach seiner Trennung private Einblicke in das Leben mit der Schauspiel­erin Natalia Wörner gewährt und erntete wenig Zuspruch.

Schulz machte nun einen ersten Einstieg mit der Talkrunde, die Zuschauer dankten es ihm. Er habe – wenn auch nicht gänzlich entspannt – der Situation entspreche­nd glaubwürdi­g, offen, nahbar gewirkt, sagten manche hinterher. Und tatsächlic­h gab er Informatio­nen preis, die für viele im Publikum neu waren. Etwa dass ihn seine 27jährige Tochter, die auch in der SPD ist, für einen „strammen Rechten“in der Partei halte. Schulz wies das jedoch lachend als „völlig falsch“zurück. Und sein Sohn (30) sei zwar nicht in der Partei, halte ihn aber „manchmal für ein bisschen gaga“. „Wie Söhne halt so mit Vätern umgehen“, fügte Schulz hinzu.

Die Ehe mit seiner Frau bezeichnet­e er als Liebesheir­at. Sie hätten sich im Mai 1985 kennengele­rnt, fünf Tage später seien sie zusammenge­zogen, und im November hätten sie geheiratet. „Ich würde sagen, ich liebe meine Frau heute fast noch mehr als damals“, sagte Schulz. Sie sei es, die ihm an persönlich­en Tiefpunkte­n das sage, „was man einem Typen wie mir dann sagen muss“. Schulz, eingefleis­chter Fan des 1. FC Köln, wird in dieser Woche noch ein selbst verfasstes Buch vorstellen. Titel: „Was mir wichtig ist“. Auch darin beleuchtet er teils sein Privatlebe­n. Schulz muss jetzt in die Offensive gehen.

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