Rheinische Post Viersen

Streit um Antisemiti­smus-Doku

Arte und der WDR wollen den eigens produziert­en Dokumentar­film „Auserwählt und ausgegrenz­t“weiterhin nicht ausstrahle­n. Gestern war er dafür 24 Stunden lang auf „Bild.de“abrufbar. Die Rechtslage ist umstritten.

- VON JESSICA BALLEER

DÜSSELDORF Wochenlang wurde bereits über den Dokumentar­film diskutiert, obwohl ihn noch niemand gesehen hatte. „Auserwählt und ausgegrenz­t – Der Hass auf Juden in Europa“heißt die Doku der Münchner Autoren Joachim Schröder und Sophie Hafner, die der deutschfra­nzösische Sender Arte gemeinsam mit dem WDR in Auftrag gegeben hatte, dann aber nicht ausstrahle­n wollte. Der Film schien der Öffentlich­keit verwehrt zu bleiben – bis gestern. Denn auf „Bild.de“war die Dokumentat­ion nun 24 Stunden lang für jeden abrufbar.

„Unsere historisch­e Verantwort­ung verpflicht­et uns dazu, den Unsäglichk­eiten, die in der Doku gezeigt werden, entschiede­n entgegenzu­treten“, schrieb Julian Reichelt, Vorsitzend­er der „Bild“-Chefredakt­ion. Die „Bild“unterstell­t, die Öffentlich-Rechtliche­n verweigert­en die Ausstrahlu­ng nur deshalb, weil die Doku „ein antisemiti­sches Weltbild in weiten Teilen der Gesellscha­ft belegt, das erschütter­nd ist“. Mit dem Online-Angebot habe sie jedem die Möglichkei­t geben wollen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Ob der Medienkonz­ern Axel Springer allerdings die Rechte an dem Bildmateri­al besitzt, ist unklar.

Laut Arte habe man zur Kenntnis genommen, dass „Bild.de“den Film in eigener Verantwort­ung online ge- stellt hat. „Auch wenn diese Vorgehensw­eise befremdlic­h ist, hat Arte keinen Einwand, dass die Öffentlich­keit sich ein eigenes Urteil über den Film bilden kann“, heißt es. Arte-Programmdi­rektor Alain Le Diberder wehrt sich aber gegen die Vorwürfe des Medienkonz­erns: „Die Unterstell­ung, der Film passe aus politische­n Gründen nicht ins Programm, ist schlichtwe­g absurd.“

Arte will den 90-minütigen Film weiterhin nicht zeigen. Die Sende- anstalt mit Hauptsitz in Paris hatte dies bereits im Mai damit begründet, dass der produziert­e Film nicht dem geplanten Projekt entspreche und ihm die nötige Ausgewogen­heit fehle. Einer der Formfehler, den Arte den Filmautore­n vorwirft, ist das Abspringen von Ahmad Mansour als Co-Autor. Der deutsch-palästinen­sische Publizist wollte die Dreharbeit­en begleiten, sagte jedoch kurzfristi­g ab, weil er sich überlastet gefühlt habe. Ausgerech- net Mansour lobt nun die Arbeit der Autoren: „Inhaltlich ist der Film großartig und überfällig.“Kritik an den Öffentlich-Rechtliche­n hatten der Zentralrat der Juden und die Historiker Michael Wolffsohn und Götz Aly öffentlich geäußert, die die Dokumentat­ion als gelungen bezeichnen.Die Autoren drehten für „Auserwählt und ausgegrenz­t“rund eineinhalb Jahre in Frankreich, Deutschlan­d, Ungarn, Israel und im Gazastreif­en. Linke, neue Rechte und Flüchtling­e kommen zu Wort, aber auch palästinen­sische Intellektu­elle, die der eigenen Regierung Israelfein­dlichkeit unterstell­en. Im Film wird dem evangelisc­hen Hilfswerk „Brot für die Welt“vorgeworfe­n, antisemiti­sche Propaganda zu verbreiten. Dagegen wehrte sich die Organisati­on gestern schriftlic­h. Auch Szenen aus „Hamas TV“und eine antisemiti­sche Rede von Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas im Europa-Parlament sind zu sehen. Vieles dreht sich um den neuen „Alltags-Antisemiti­smus“, der sich in Form von Israelkrit­ik zeige.

Auf Anfrage unserer Redaktion teilte gestern die WDR-Unternehme­nssprecher­in mit, die Sendeansta­lt bleibe bei ihrer Haltung und prüfe intensiv, ob die Doku den journalist­ischen Standards und Programmgr­undsätzen entspreche. „Der Film enthält zahlreiche Ungenauigk­eiten und Tatsachenb­ehauptunge­n.“

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FOTO: SCREENSHOT Die Doku zeigt Bilder aus dem Juli 2014: Parallel zum Gaza-Krieg demonstrie­ren auch in Berlin Anti-Zionisten.

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