Rheinische Post Viersen

Einheitlic­he Bewertung von Gefährdern

Die Innenminis­ter ziehen weitere Konsequenz­en aus dem Amri-Attentat. Bei anderen Problemen ist die Einigkeit aber schnell vorbei.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Sechs Monate nach dem Berliner Weihnachts­marktatten­tat hat die Konferenz der Innenminis­ter von Bund und Ländern (IMK) weitere Konsequenz­en aus den Pannen im Umgang mit dem Tatverdäch­tigen Anis Amri gezogen: Künftig wird es für die Klassifizi­erung von Gefährdern und Gefährdung­en ein neues, in allen Bundesländ­ern einheitlic­hes Bewertungs­modell geben, auch die operative Bearbeitun­g wird auf neue Füße gestellt. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) betonte, dass diese Entscheidu­ng nach der Auswertung des Falles Amri zustande gekommen sei. Der Tunesier, sein kriminelle­s Wirken und seine Terrorabsi­chten waren verschiede­nen Behörden zwar bekannt, er hatte jedoch ungehin- dert seine Tat begehen und zwölf Menschen töten können. Die Vereinheit­lichung im Umgang mit Gefährdern sei umso wichtiger, als sich deren Zahl in den letzten Jahren vervierfac­ht habe, sagte de Maizière. Derzeit halten die Behörden es bei 680 Personen für möglich, dass sie Anschläge begehen.

Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) sprach die Erwartung aus, dass gerade bei Gefährdern, die in mehreren Bundesländ­ern unterwegs sind, das Bundeskrim­inalrecht häufiger von seinem „Selbsteint­rittsrecht“Gebrauch mache, also häufiger als bisher die Beobachtun­g von der Landes- auf die Bundes-Zuständigk­eit hebe. Der Austausch zwischen den Behörden klappe bereits besser, der Sach- und Personalei­nsatz des Bundes müsse in besonderen Situatio- nen jedoch noch ausgebaut werden. „Hier ist der Bund gefordert, sich stärker einzubring­en“, sagte Pistorius.

Zwar lobten die Minister von CDU, CSU und SPD die sachlichen und konstrukti­ven dreitägige­n Gespräche über 52 Vorhaben für mehr Sicherheit in Deutschlan­d. Schließlic­h seien die Parteien parallel zu dieser letzten IMK vor der Bundestags­wahl damit beschäftig­t, ihre unterschie­dlichen Wahlprogra­mme zu schreiben. Gleichwohl kamen die Politiker auf einigen Feldern auch nicht weiter. So konnte sich die Union mit der Forderung nicht durchsetze­n, die Schleierfa­hndung auf alle Bundesländ­er und wichtige Verkehrswe­ge auszudehne­n. Auf der anderen Seite scheiterte das Bemühen der SPD, vor der Ausstellun­g eines Waffensche­ins die Abfrage nach Erkenntnis­sen des Verfassung­sschutzes zur Regel zu machen. Einig waren sich die Minister zumindest in der Zielsetzun­g, dass die derzeit 12.600 sogenannte­n Reichsbürg­er keine Waffen haben sollten. Zudem konnten CDU und CSU die Kollegen noch nicht davon überzeugen, künftig bei der Fahndung nach Schwerverb­rechern auch die Daten aus der Lkw-Maut-Überwachun­g zu nutzen.

Schnell wollen die Innenminis­ter den Fahndern jedoch den Zugriff auf verschlüss­elte Kommunikat­ion in Messenger-Diensten wie Whatsapp ermögliche­n. Das soll nun ähnlich geregelt werden wie beim Telefon oder bei SMS. De Maizière unterstric­h die Absicht, eine entspreche­nde Regelung im Strafproze­ssrecht noch innerhalb der nächsten beiden Sitzungswo­chen durch den Bundestag zu bringen. Im Gegenzug müssten die Länder die dazu passenden Befugnisse in die jeweiligen Polizeiges­etze integriere­n.

Diese sollen nun zudem bundesweit vereinheit­licht werden. Und zwar auf der Grundlage eines „Musterpoli­zeigesetze­s“, das den derzeitige­n Flickentep­pich durch gleiche Sicherheit­sstandards ersetzen wird. De Maizière bezeichnet­e dies als „wirklichen Durchbruch“, der ein unterschie­dliches Niveau von Sicherheit in Deutschlan­d beseitige und die Rechtsprec­hung erleichter­e. Eine Landesregi­erung werde nun „gute Gründe brauchen“, um davon abzuweiche­n.

Zu den weiteren Beschlüsse­n gehört eine behördenüb­ergreifend­e Übung, wie mit einem verheerend­en Cyber-Angriff umzugehen ist. Um Mehrfachid­entitäten weiter zu- rückdränge­n zu können, sollen künftig auch von sechs- bis 14-jährigen Asylbewerb­ern Fingerabdr­ücke genommen werden können. Die Erweiterun­g genetische­r Auswertung­en auf bestimmte Merkmale wie Augen- und Haarfarbe soll die Fahndung beschleuni­gen.

Die Opposition kritisiert­e die Beschlüsse der Innenminis­terkonfere­nz. Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt warnte vor der Überwachun­g der Messenger-Kommunikat­ion in der jetzt vorgesehen­en Form. „Was die Koalition derzeit zur Auswertung von WhatsappNa­chrichten plant, reißt die hohen verfassung­srechtlich­en Hürden“, sagte sie unserer Redaktion. Karlsruhe habe klare Bedingunge­n vorgeben. Darauf habe auch die Bundesdate­nschutzbea­uftragte Andrea Voßhoff hingewiese­n.

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FOTO: DPA Die Tat eines behördenbe­kannten Gefährders: der Breitschei­dplatz an der Berliner Gedächtnis­kirche nach dem Attentat durch Anis Amri am 19. Dezember 2016.

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