Rheinische Post Viersen

Herrlich hat ein reines Gewissen

In einem Interview hatte der neue Leverkusen­er Trainer seinem Ex-Verein Jahn Regensburg Treue geschworen.

- VON PATRICK SCHERER

LEVERKUSEN Heiko Herrlich sagt einen Satz, bei dem in Leverkusen sofort Erinnerung­en hochkommen: „Ich habe ein mehr als reines Gewissen.“Nun geht es bei ihm aber keineswegs um den Vorwurf des Kokainkons­ums wie bei Christoph Daum im Jahr 2000. Nein, es geht lediglich um eine Aussage in einem Interview Ende Mai. Zu diesem Zeitpunkt war Herrlich noch Trainer bei Fußball-Drittligis­t Jahn Regensburg, mit dem er kurz danach den Aufstieg schaffte. Es war zu lesen: „Ich bin nächstes Jahr auf jeden Fall Trainer in Regensburg.“Herrlich erläuterte, es gehe ihm dabei um Demut, Dankbarkei­t und christlich­e Werte. Seit vergangene­r Woche ist Herrlich Trainer von Bayer 04. In den sozialen Netzwerken wird ihm nun fehlende Glaubwürdi­gkeit vorgeworfe­n. Der 45-Jährige kann das nicht nachvollzi­ehen.

„Ich habe mit Jahn die Relegation gegen 1860 gespielt und keinen Vertrag für die kommende Saison gehabt. Dann macht man die Gegenseite darauf aufmerksam. Wenn man seiner Freundin immer wieder sagt ,Ich liebe dich’ und dann kommt nichts zurück, dann kommt irgendwann die Situation, in der man sich nur noch als Inventar fühlt“, sagt er gestern bei einer Medienrund­e in der BayArena. Herrlich spricht diese Worte mit Nachdruck, aber nicht mit erhöhter Lautstärke. Man merkt, er fühlt sich mit sich im Reinen. „Es gehen so viele Beziehunge­n und Ehen kaputt, in denen man das in einem Moment so fühlt und sagt, und dann ist es plötzlich nicht mehr so. Und das wird akzeptiert. Aber wenn ein Fuß- balltraine­r den Verein wechselt und nicht mal einen Vertrag hat, dann gibt’s einen Aufschrei.“

Herrlich hat viele Schlachten geschlagen. Auf dem Rasen als Spieler bei Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengla­dbach, Borussia Dortmund und fünfmal in der Nationalma­nnschaft. Als Trainer in Unterhachi­ng, Regensburg und in der Bundesliga beim VfL Bochum (2009/10).

Seinen größten Kampf hat Herrlich aber außerhalb eines Stadions gewonnen. Im Herbst 2000 entdeckten Ärzte bei ihm einen bösartigen Hirntumor. Herrlich besiegte den Krebs. „Ich war Champions-League-Sieger, Weltpokals­ieger, Nationalsp­ieler, Fußballpro­fi mit einem gut gefüllten Konto. Dann wurde ich krank und wollte nur noch überleben“, sagte Herrlich vor Kurzem.

Vielleicht setzt der Trainer Herrlich deshalb auch andere Prioritäte­n. „Der Teamgedank­e ist für mich das höchste Gut. Es gibt vier Leistungsf­aktoren: Technik, Taktik, Athletik und Persönlich­keit. Bei mir steht die Persönlich­keit an Nummer eins. Das lebe ich selbst vor, und das fordere ich ein“, betont der Bundesliga-Torschütze­nkönig von 1995.

Die Konzentrat­ion aufs Menschlich­e hat Herrlich früh für sich entdeckt – in Leverkusen. Der Brasiliane­r Jorginho, der von 1989 bis 1992 mit ihm für Bayer spielte, lud Herrlich zu Bibelkreis­en ein. Der Glaube an Gott ist seither elementare­r Bestandtei­l seines Lebens.

Herrlich ist keiner, der Versprechu­ngen macht. Das klingt dann so: „Leistung ist planbar, Erfolg nicht.“Oder so: „Ob die Spieler meinen Weg mitgehen, kann ich nicht garantiere­n – aber ich habe viel Argumentat­ionspotenz­ial.“Beim ersten Spieler hat er diese Fähigkeit schon mal unter Beweis gestellt. Stefan Kießling hat sich von seinen Überlegung­en, seine Karriere zu beenden, verabschie­det und erfüllt seinen bis 2018 laufenden Vertrag. „Stefan Kießling ist genau der Spieler, der diese Art Teamgedank­e lebt“, sagt Herrlich.

Nach einer völlig verkorkste­n Saison, an deren Ende die hochambiti­onierten Leverkusen­er den Klassenerh­alt als Erfolg ansehen mussten, ist Herrlichs Herangehen­sweise klar: eine sichtbare Einheit bilden – auf und neben dem Platz.

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FOTO: KSMEDIA Erfahrener Trainer: Heiko Herrlich (45) will Leverkusen wieder in die Erfolgsspu­r führen.
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FOTO: DPA Junger Hüpfer: Heiko Herrlich 1989 als 17-Jähriger im Trikot von Bayer Leverkusen.

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