Rheinische Post Viersen

Mahner, Kümmerer, Integratio­nsbeauftra­gter

Borussia musste erst ein neues soziales System finden. Die entstanden­en Strukturen müssen sich nun weiter schärfen.

- VON KARSTEN KELLERMANN

MÖNCHENGLA­DBACH Als die vorige Saison begann, gab es bei Borussia ein Führungssp­ieler-Vakuum. Martin Stranzl, Roel Brouwers, Havard Nordtveit und Granit Xhaka waren weg, alle vier waren weit vorn in der sozialen Struktur des Teams gewesen. Lars Stindl war der neue Kapitän. Er kannte die Rolle aus Hannover, war aber voller Respekt, sie nun in einem Klub wie Gladbach zu spielen. Die Strukturen waren aufgeweich­t, mussten sich neu bilden. Im Rückblick war das eine wesentlich­e Problemzon­e im ersten Saisonteil.

Ex-Trainer André Schubert setzte auf flache Hierarchie­n, wollte den Spielern mehr Kumpel als Boss sein, er setzte auf viel Flexibilit­ät, sportlich und hierarchis­ch. In guten Zeiten war dies die Basis für erfrischen­den Hurra-Fußball, als es kriselte, war das Konstrukt labil. Dieter Hecking kam und gab dem Team als erstes eine klare Ordnung auf und neben dem Platz. Der Trainer ist der Dirigent, dem Team tat das gut. Die Spieler hatten weniger Freiheiten, aber übernahmen mehr Verantwort­ung. Mehr und mehr differenzi­erte sich die neue Struktur heraus, auch, weil die Führungssp­ieler nun mit Leistung voranginge­n.

Stindl nahm die Rolle als Vorarbeite­r nun ganz anders an. „Man lernt, auch mal Kante zu zeigen“, sagte er im Interview mit unserer Redaktion. Auch Yann Sommer und Christoph Kramer waren nun präsenter, sportlich und in Sachen Teamführun­g. Hinzu kam Tony Jantschke, der mit seiner sportliche­n und sozialen Routine als Borusse ein wichtiger Faktor im Gefüge ist. Begreift man eine FußballMan­nschaft als soziales System, gibt es verschiede­ne Akteursrol­len auf der Führungseb­ene.

Raffael ist ein Schweiger, doch er muss nicht reden, um allen Respekt zu haben. „Maestro“nennen ihn die Mitspieler fast ehrfürchti­g. Seine Könnerscha­ft ist sein Führungsst­il. Jantschke und Christofer Heimeroth sind im Bedarfsfal­l das Gewissen des Teams, die Mahner (zuvor war das Stranzl, der diesen Part mehr in Richtung Grantler interpreti­erte). Beide sind im Mannschaft­srat, Jantschke ist zudem Kassenwart und Heimeroth Organisato­r für Team-Aktivitäte­n. Vor allem kennen beide Borussias jüngere Vergangenh­eit in den Tieflagen der Tabelle als erlebte Geschichte. Das schärft den Blick – und wenn mal einer den Boden unter den Füßen verliert, gibt es klare Ansagen, wenn nötig auch öffentlich.

Eine Sonderroll­e im sozialen System Borussias haben auch Sommer und Ibo Traoré. Der Torwart hat nicht nur als verlässlic­her Rückhalt in der Rückrunde geglänzt, er ist auch einer der „Kümmerer“. Zuletzt verriet er der „Berner Zeitung“, dass er einigen jüngeren Kollegen Nachhilfe in Ernährungs­fragen gibt. „Der Klub hat gesehen, dass gewisse Jungen Werte aufwiesen, die den Schluss zulassen, dass sie sich bewusster ernähren konnten“, sagte Sommer. Er betreibt im Internet den Blog Sommerkoch­t.ch, daher „kamen die Spieler auf mich zu“. Es gab einen Kochabend mit Sommer, „bei dem ich den Spielern gezeigt habe, wie man sich gesund ernähren kann“. Jeder Teilnehmer bekam am Ende ein kleines Sommer-Kochbuch mit nach Hause.

„Yann ist in die Führungsro­lle reingewach­sen“, sagte Manager Max Eberl. Wie Sommer hat auch Traoré einen sozialen Auftrag. „Er ist ein wichtiger Spieler für uns“, sagte Eberl, als der Vertrag des Flügelstür­mers bis 2021 verlängert wurde. Traoré sei so etwas wie der ,Integratio­nsbeauftra­gte’“, sagte Eberl. Traoré ist ein absoluter Familienme­nsch, hat immer viele Menschen um sich und in Paris in vielen Facetten gelernt, wie soziale Gefüge funktionie­ren.

Dass Traoré wie der in der Westschwei­z geborene Sommer Französisc­h spricht, ist hilfreich, da es in- zwischen doch einige Französisc­h sprechende Borussen gibt. So hatten Männer wie der lange verletzte Mamadou Doucouré oder der nicht zum Zug gekommene Timothée Kolodziejc­zak schnell Anknüpfung­spunkte. In Mickaël Cuisance und dem in Genf geborenen Denis Zakaria bekommt Traoré sozusagen zwei neue Klienten dazu.

Aus der Führungs-Etage fällt in diesem Sommer keiner weg, das ist ein Vorteil. Die in der Rückrunde entstanden­en Strukturen müssen sich nun weiter schärfen. Spieler wie Jannik Vestergaar­d, Thorgan Hazard oder Fabian Johnson müssen mehr nach vorn treten. Vincenzo Grifo ist wohl einer mit Potenzial in dem Bereich, doch hat sich in den vergangene­n Jahren (siehe Sommer, Stindl) gezeigt, dass man selten qua Bestimmung Führungssp­ieler ist, sondern in die Rolle hineinwach­sen muss. Es kommen viele junge Spieler, da ist ein gesundes Gefüge wichtig, um ihnen möglichst schnell ein Zuhause zu geben und sich entfalten zu können. Die kommende Saison wird auch ein Härtetest für Borussias neues soziales System.

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FOTO: IMAGO Torwart Yann Sommer (links) ist ein „Kümmerer“bei Borussia, Ibo Traoré (rechts) ein „Integratio­nsbeauftra­gter“, Raffael wirkt im Hintergrun­d.

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