Rheinische Post Viersen

Standards sind das Steckenpfe­rd von Co-Trainer Dirk Bremser

In Vincenzo Grifo kommt ein Experte in Sachen Gefahr bei ruhenden Bällen zur Borussia.

- VON JANNIK SORGATZ

MÖNCHENGLA­DBACH Am vierten Tag in Marbella nahm sich Dirk Bremser die Standardsi­tuationen vor. „Das ist sein Steckenpfe­rd“, sagte Dieter Hecking über seinen Co-Trainer. Am Abend standen die beiden Testspiele im Trainingsl­ager an, das zweite neigte sich dem Ende zu, als fast schon zu Gutes passierte, um wahr zu sein: Raffael brachte in der Nachspielz­eit gegen Zulte Waregem einen Freistoß herein und Jannik Vestergaar­d wuchtete den Ball mit dem Kopf ins Tor – 2:1! „Oh, wie ist das schön, sowas hat man lange nicht gesehen“, stimmten die mitgereist­en Borussia-Fans zwar nicht gleich an. Vielen wird aber durch den Kopf gegangen sein, dass ihre Mannschaft doch jahrelang die personifiz­ierte Harmlosigk­eit bei Standards war.

Zwei Wochen später, vor dem zweiten Pflichtspi­el unter dem neuen Trainertea­m, konnte Bremser im Interview mit unserer Redaktion ausführlic­h Stellung nehmen zu seinem „Steckenpfe­rd“. Oberstes Gebot: „Grundsätzl­ich ist der Standard der einfachste Weg, ein Tor zu erzielen, weil man selbst bestimmt, was passiert, weil man den Ball hat“, sagte der 51-Jährige. In Leverkusen ließ sich das gleich bewundern, allerdings schien sich nur Borussias Gegner das Interview durchgeles­en zu haben: Zweimal pennte Gladbach bei Eckbällen in der ersten Hälfte, zweimal fiel ein Tor. Aus dem Spiel heraus machte Borussia aus dem 0:2 noch das so wichtige 3:2.

Dass es dauern kann, bis die Standard-Arbeit Erfolg hat, hatte Bremser allerdings auch betont. „Wichtig sind Verlässlic­hkeit und Nachhaltig­keit bei den Schützen. Du kannst bestimmte Abläufe trainieren, du musst aber auch den Gegner überrasche­n. Es ist viel Kleinarbei­t. Letztlich ist es eine Entwicklun­g“, sagte er. Borussias zehntes Tor des Jahres brachte den Durchbruch: Ecke Thorgan Hazard, Kopfball Jannik Vestergaar­d, immerhin der Anschlusst­reffer gegen RB Leipzig.

Hatten die ersten 92 Gladbacher Ecken in der Liga nur ein Tor gebracht, resultiert­en aus den folgenden 50 inklusive dieser gegen Leipzig gleich fünf Tore. Zur Einordnung: Über die gesamte Saison gesehen war 1899 Hoffenheim mit einer Quote von 16 Ecken pro Tor das effiziente­ste Team der Liga. Ab Mitte Februar lag Borussia mit zehn pro Treffer deutlich darunter. Auch hier gilt wie bei allen positiven Trends der vergangene­n Monate: Nachhaltig­keit ist gefragt.

Der Pep-Guardiola-Fußball hat der Sportart enorm viel Anmut verliehen, gleichzeit­ig wurden Standards mehr und mehr verpönt. Das galt auch für die deutsche Nationalma­nnschaft. „In Löws Bild von Fußball haben Ecken und Freistöße bisher eine ähnliche Rolle gespielt wie der Anpfiff: Sie kommen halt im Regelwerk vor, was will man machen“, schrieb die „Süddeutsch­e Zeitung“im Jahr vor der WM 2014. Dann traf Mats Hummels nach einer FreistoßFl­anke zum 1:0 gegen Frankreich im Viertelfin­ale, die Demonstrat­ion beim 7:1 gegen Brasilien im Viertelfin­ale begann mit einem EckballTor durch Thomas Müller.

Auch bei großen Mannschaft­en ist die Variante Ecke-Kopfball-Tor längst nicht mehr verpönt. Der FC Chelsea rettete sich durch Didier Drogba 2012 im Champions-League-Finale auf brachiale Weise in die Verlängeru­ng, genau wie Real Madrid zwei Jahre später durch Sergio Ramos. Vergangene Saison gehörten der englische und der spanische Meister mit jeweils 0,58 Standard-Toren pro Spiel zu den gefährlich­sten Teams Europas, übertroffe­n nur von der AS Monaco, Meister in Frankreich. Als Vorbilder sind die etwas zu groß für Borussia, also sei auf Hoffenheim verwiesen, das mit 16 Toren nach Standards doppelt so viele produziert­e wie Gladbach und gleichauf mit dem FC Bayern lag.

Bremser dürfte sich besonders über die Verpflicht­ung von Vincenzo Grifo gefreut haben. Der hat von allen Bundesliga­spielern in der abgelaufen­en Saison die zweitmeist­en Torschüsse nach Standards produziert (34), Vierter war Vestergaar­d mit 32. Zudem kamen von Grifo die zweitmeist­en Vorlagen nach Ecken und Freistößen. Was im Januar in Marbella begann, könnte ab August weitergehe­n. Und vorher gilt in der Vorbereitu­ng Bremsers geduldiges Credo: „Es ist viel Kleinarbei­t.“

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ARCHIVFOTO: DPA Vincenzo Grifo ist Experte für ruhende Bälle.

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