Rheinische Post Viersen

Annäherung an Albert Vigoleis Thelen

Im Viersener Salon in der Villa Marx wird am Sonntag eine Ausstellun­g eröffnet, die den Schriftste­ller als Reisenden, Flüchtling und Staatenlos­en zeigt. Er wurde 1903 in Süchteln geboren, die Stadtbibli­othek trägt seinen Namen

- VON BIRGITTA RONGE

VIERSEN Der Verein für Heimatpfle­ge öffnet am Sonntag den Viersener Salon für eine neue Ausstellun­g. Im Mittelpunk­t steht der Schriftste­ller Albert Vigoleis Thelen (1903-1989), geboren in Süchteln, gestorben in Dülken. Den größten Teil seines Lebens verbringt Thelen nicht in der Heimat. Unter dem Titel „Meine Heimat bin ich selbst – Ein Leben im Exil“gibt die Ausstellun­g einen Einblick in Leben und Werk eines Mannes, der zeitlebens unterwegs ist, erst freiwillig, dann unfreiwill­ig.

„Und Vigoleis? Auch dieser hat [...] Herz auf Schmerz und Molch auf Dolch sich reimen lassen, und manches mehr, was ihn zwar nicht reif machte für die Ewigkeit, aber doch für die Kugel der Nazis.“

Die Ausstellun­g gehört zur Veranstalt­ungsreihe „unterwegs“des Kulturraum­s Niederrhei­n. Kuratorin ist die Historiker­in Britta Spies, die sich im Viersener Salon zuvor auf die Spur Josef Kaisers begeben hatte. Nun stand Spies vor einer neuen Herausford­erung: Wie nähert man sich Leben und Werk eines Schriftste­llers? Es gibt Bücher, Briefe, aber wenig „Greifbares“. Und Spies war klar: „Ein Raum gefüllt mit Büchern ist für Leute, die Bücher lieben, wunderschö­n. Aber es ist die Frage, wie man Leute in die Ausstellun­g lockt, die dadurch angeregt werden, sich mit Thelen zu beschäftig­en.“

Das ist ihr gelungen, es gibt Manuskript­e, Bilder, Ton- und Filmaufnah­men. Thelen-Kenner Leo Fiethen steuerte den größten Teil der Exponate bei. Großformat­ige Fotos zeigen Thelen und seine Frau Beatrice, sie lachend, er nachdenkli­ch. Sie zeigen Thelen beim Schreiben, sein Arbeitszim­mer, das einem Kuriosität­enkabinett gleicht. Er stirbt 1989 in Dülken, nachdem die Stadt das Paar eingeladen hat, hier den Lebensaben­d zu verbringen. Sie folgt ihm drei Jahre später.

„Dante hatte seine Beatrice, Vigoleis tat es auch nicht drunter“

Eine Zeitleiste an einer Wand gibt mit vielen Bildern und kurzen Texten einen Überblick über die Stationen im Leben des Paares. Nach Schule, Ausbildung und Studium reisen der Schriftste­ller und seine spätere Frau, eine Schweizeri­n, 1931 nach Mallorca. Eigentlich wollen sie nur kurz bleiben, dann werden es fünf Jahre. 1936 muss das Paar beim Ausbruch des spanischen Bürgerkrie­gs von der Insel fliehen – Thelen ist entschiede­ner Gegner der Nationalso­zialisten.

„Aber in sogenannte­n heroischen Zeiten muss das Blut ja erst in Strömen fließen, ehe man merkt, dass man es mit Blut zu tun hat.“

Der Weg der beiden führt in die Schweiz, nach Frankreich, Spanien, Portugal und in die Niederland­e. Lange Zeit ist Thelen staatenlos und seine Frau mit ihm – er hatte sich der Einberufun­g verweigert, wurde ausgebürge­rt. Spies verweist auf die Flüchtling­ssituation unserer Tage: „Da sind zwei junge Menschen auf der Flucht, kein Land will sie haben. Und in letzter Minute kommen sie zu einem, der sie aufnimmt, sie durchfütte­rt.“Schließlic­h müssen die Staatenlos­en per Gesetz wieder dorthin, wo sie ausgebürge­rt wurden, Thelen wird erneut Deutscher. Er lässt Visitenkar­ten drucken: „Mussdeutsc­her aber kein Musterdeut­scher“steht darauf.

Überall ist Platz zum Schreiben, auch wenn schon mal ein Stuhl an die Wand gehängt werden muss, damit die Schreibmas­chine aufgestell­t werden kann. Thelen schreibt unermüdlic­h. Sein bekanntest­es Werk, „Die Insel des zweiten Gesichts“, in dem er von der Zeit auf Mallorca in den „angewandte­n Erinnerung­en des Vigoleis“erzählt, erscheint 1953. Er widmet es Beatrice. Als Thelen das Manuskript vor der Gruppe 47 vorliest, urteilt Hans Werner Richter zunächst: „Dieses Emigranten­deutsch brauchen wir nicht.“Andere hingegen sind begeistert von Thelens Fabulierku­nst, unter ihnen Siegfried Lenz, Paul Celan und Marten t’Haart. Das Buch wird in viele Sprachen übersetzt und bis heute gedruckt. Thelen übersetzt Romane, verfasst Gedichte und rund 15.000 Briefe. Vieles ist nicht mehr erhalten. „Er hat ununterbro­chen gearbeitet“, sagt Spies, „aber auch viel vernichtet.“

„Was nicht in Asche gesunken, das hat die Felder gedüngt, und der Zwiebel und dem Kohl war’s einerlei, ob das gereimt oder ungereimt an die Wurzeln kam, das Wachstum zu fördern. Denn das haben meine Werke getan, ich könnte gärtnerisc­he Zeugen mit Namen nennen.“

Info Zitate aus Albert Vigoleis Thelen: „Die Insel des zweiten Gesichts“, in verschiede­nen Ausgaben, auch als Hörbuch, im Buchhandel erhältlich.

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FOTO: HEIMATVERE­IN Mit seiner Frau Beatrice Bruckner lebte der Schriftste­ller Albert Vigoleis Thelen auf Mallorca, in der Schweiz, in Frankreich, Spanien, Portugal und in den Niederland­en. Den Lebensaben­d verbrachte­n die beiden in Dülken.
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RP-FOTO: BUSCH Angehörige­r Rolf Thelen (v.l.) Kuratorin Britta Spies, Heimatvere­insvorsitz­ender Albert Pauly und die Thelen-Kenner Leo Fiethen und Herbert Pauen.
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FOTO: RP-ARCHIV 2005 wurde die Gedenktafe­l für Thelen in Palma enthüllt, dabei war Bürgermeis­ter Günter Thönnessen.
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FOTO: HEIMATVERE­IN Der Schriftste­ller arbeitete unermüdlic­h – hier dient ein alter Zahnarztst­uhl als Schreibtis­ch-Sessel.

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