Rheinische Post Viersen

Hand in Hand gegen Atomkraft

Im Grenzgebie­t von Belgien, Deutschlan­d und den Niederland­en geben sich rund 50.000 Menschen die Hand. Ihre Forderung: das Atomkraftw­erk Tihange abschalten. Die Organisato­ren sehen die Aktion als starkes Signal.

- VON ALEXANDER BARTH, MADELEINE GULLERT UND CHRISTINA HANDSCHUHM­ACHER

AACHEN/LÜTTICH/TIHANGE/VISÉ Auf dem Aachener Markt ist Gelb die dominieren­de Farbe. „Stop Tihange“-Schirme und -Bänder überall. Auch Oberbürger­meister Marcel Philipp (CDU) hält eine gelbe Fahne hoch, bevor er dann um 14.45 Uhr den Mann neben sich an der Hand nimmt. Heerlens Bürgermeis­ter Ralf Krewinkel ist nach Aachen gekommen, um gegen den Betrieb des belgischen Meilers Tihange 2 zu demonstrie­ren und um zu zeigen, dass die Sorge um diesen und den Meiler in Doel die Menschen von Aachen und Heerlen, aber auch bis nach Belgien vereint. 90 Kilometer lang ist die Strecke von Aachen über Maastricht und Lüttich nach Tihange: 60.000 Menschen hätte man benötigt, 50.000 sind laut Aachener Aktionsbün­dnis gegen Atomenergi­e gekommen.

Im belgischen Visé, rund 30 Kilometer Luftlinie von Aachen entfernt, müssen die Menschen an der einen oder anderen Stellen kreativ sein, um die Kette zu schließen. Im Streckenab­schnitt 42 endet die Kette bei Isabell Vitt. Trotz Bändern, Pappfigure­n und ausgestrec­kten Armen liegen zwischen der Frau aus Euskirchen und ihrem Gegenpart fünf Meter. Rochus Kaluza, der an der anderen Seite der unterbroch­enen Kette steht, überlegt, ob er seinen Gürtel zweckentfr­emden soll. Jeder Meter zählt. Doch dann klappt es. Endlich. Kettenschl­uss. Die Mehrheit der Menschenke­tten-Teilnehmer sind Deutsche – viele aus der Grenzregio­n um Aachen, Düren und Heinsberg. Sogar aus Hessen, Baden-Württember­g und Bayern sind Atomkraftg­egner angereist.

Der Grenzüberg­ang von Aachen nach Vaals ist ein symbolträc­htiger Ort für die Menschenke­tte. Denn die Angst vor dem Atomreakto­r vereint viele Menschen – über Grenzen hinweg. „Hier sind nicht nur Aktivisten, die Sorge vor Tihange 2 beschäftig­t große Teile der Bevölkerun­g“, sagt die Aachener EU-Abgeordnet­e Sabine Verheyen, die sich mitten auf die Grenze stellt. Ja, der Meiler sei nur 60 Kilometer Luftlinie vom Aachener Stadtgebie­t entfernt. Im Falle eines GAU könne das Gebiet unbewohnba­r werden. Das hatte Professor Wolfgang Renneberg vom Institut für Sicherheit­s- und Risikowiss­enschaften an der Universitä­t für Bodenkultu­r in einer Studie für die Städteregi­on Aachen erörtert. Auch er ist zur Menschenke­tte gekommen. „In Deutschlan­d würde so ein Atommeiler nicht mehr laufen.“

Das erhofft sich auch Städteregi­onsrat Helmut Etschenber­g (CDU), der immer wieder betont, dass er sich von der Bundesregi­erung alleingela­ssen fühlt. Die Städteregi­on klagt gegen den Betrieb, während die Bundesregi­erung den Transport von Brenneleme­nten genehmigt. Das verstehen die Menschen an der Strecke nicht. „Da fühlt man sich doch verarscht“, sagt Elisabeth Rommbach aus Mönchengla­dbach, die mit Freunden aus Aachen demonstrie­rt.

Alexander Decker ist an diesem Tag nach Lüttich gefahren. Wo sonst Touristen flanieren und Einheimisc­he den Radweg entlang der Maas nutzen, befindet sich jetzt Kilometer 30 der Kette. Eine junge Helferin weist den langsam, aber stetig eintreffen­den Demonstran­ten den Weg. Gegen 14.30 Uhr haben auch Decker und seine Begleiter ihren Platz in der Kette gefunden, Protestute­nsilien und gelb-schwarze Bänder zur Kettenverl­ängerung inklusive. „Die ersetzen jeweils mindestens einen, der nicht gekommen ist“, scherzt Decker.

Auch Angelika Hartzheim aus Köln protestier­t mit. Sie erinnert sich genau an die Anti-AKW-Proteste der frühen 80er und an den Unfall von Tschernoby­l. Die Diskussion­en um die belgischen Reaktoren mache ihr Angst: „Tschernoby­l war damals schon sehr nah, die Auswirkung­en haben den Alltag beeinfluss­t. Von Tihange und Doel geht aber eine gefühlte Bedrohung aus, die viel größer ist als damals.“

Rund 50 Kilometer Maas-aufwärts können die Streckenpo­sten pünktlich ausrufen: „La chaîne existe!“In Huy, unweit des Kraftwerks von Tihange, steht die Kette. Beim Betreiber Engie-Electrabel gibt man sich gelassen. Der Leiter des Kraftwerks hatte die Organisato­ren der Menschenke­tte sogar für gestern zum Gespräch eingeladen. Die sagten aber ab, schließlic­h müsse man in der Kette stehen. Engie-Electrabel will das Treffen gern nachholen.

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FOTOS: DPA Nach Angaben des Bündnisses „Stop Tihange“wurde die 90 Kilometer lange Kette bis auf vereinzelt­e Lücken geschlosse­n. In Aachen standen die Menschen dicht an dicht.
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Noch ein paar Pappkamera­den als Nachbarn für die Menschenke­tte haben diese Frauen aus Aachen mitgebrach­t.
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Eine Teilnehmer­in lässt sich ein Symbol für Radioaktiv­ität aufmalen.

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