Rheinische Post Viersen

Nach dem Radkauf das Schloss knacken

Zum Fundsachen­verkauf der Stadt kamen die Schnäppche­njäger ins Rathaus. Handys, Schmuckstü­cke und Fahrräder wurden zum kleinen Preis abgegeben — insbesonde­re die Drahtesel hatten es den Besuchern angetan

- VON JANNETTA JANSSEN

LOBBERICH Schon um 9.45 Uhr stehen die ersten Schnäppche­njäger vor dem Rathaus am Doerkespla­tz. Durch die große Glastür können sie einen Blick hineinwerf­en. Im Foyer stehen aufgereiht hintereina­nder Fahrräder, an den Gepäckträg­ern hängen gelbe Zettel. Darauf steht der Preis, auch weitere Angaben zum Fundort und -datum sind darauf zu lesen. Über ein halbes Jahr haben die Fahrräder im Keller der Stadtverwa­ltung gestanden, denn so lange hätte der Besitzer Zeit, sich zu melden. Einige Räder sind verstaubt, andere haben einen Platten, einen lockeren Sattel. Das Schloss ist entweder noch verschloss­en oder aufgebroch­en. An anderen bröckelt der Lack. Doch es sind auch Drahtesel dabei, die kaum Macken haben – und damit ein richtiges Schnäppche­n sind.

Michaela Mevissen aus Lobberich ist unter den Besuchern, die zur Fundsachen­verkauf ins Rathaus gekommen sind. Sie hat vier Kinder und erzählt: „Eines der Räder hat immer was, sei es ein platter Reifen, was mit der Gangschalt­ung oder was anderes.“Beim Reingehen hat sie zunächst geschaut, welches das teuerste Rad ist, und sich den Zettel direkt vom Gepäckträg­er abgenommen. Erst dann gehört es ihr. „Ich hatte schon Angst, weil Leute sich das vor mir angesehen haben, aber den Zettel hatten sie nicht abgenommen“, sagt Mevissen.

Ihr Glück, denn das von ihr gewählte ist eines der „besten Räder“beim diesjährig­en Fundsachen­verkauf, sagt Olaf Fledderman­n von der Stadt Nettetal. Unterstütz­ung bei der Preisschät­zung hat er von einem Lobberiche­r Fahrradhän­dler bekommen, der die Räder nach ver- schiedenen Kriterien schätzte. An der Kasse hat die Verwaltung auch noch weitere Fundsachen aufgestell­t: Brillen, unzählige Handys, darunter auch teure Smartphone­s, Sporttasch­en, eine alte Wanduhr, ein Einkaufsko­rb, ein Damenhut aus Samt mit Blumen, Ringe, Ketten und Armbänder. Ein Anhänger, verziert mit dem Namen „Annette“, steht für vier Euro zum Verkauf. Jedes Stück hat eine Geschichte. Es könnte verloren gegangen oder gestohlen worden sein. Oder es handelt sich um eine Erinnerung, die man unbedingt loswerden wollte. Zumindest bei den Schmuckstü­cken.

Jedes Jahr sind Fahrräder „der Renner“. Die meisten Besucher brauchen ein Zweitrad – oder ihr altes Rad wurde ihnen gestohlen. Wouter arbeitet in Lobberich und braucht dringend einen neuen Drahtesel. Der Zwei-Meter-Mann hat andere Kriterien als die meisten anderen: „Bei mir war die Größe entscheide­nd – und es sollte ein Herrenrad sein und auch eine Gangschalt­ung haben“, sagt der Mönchengla­dbacher. Er hat Glück: Ein Herrenrad der Marke Barta kann er für 70 Euro ergattern und ist voll zufrieden. „Das ist ein Schnäppche­n und super in Schuss“, findet Wouter.

Manchmal kommen auch Händler und wollen die Ware dann mit Gewinn weiterverk­aufen. Heute nicht. Zwei Stunden sind für den Verkauf angesetzt. Nach zwanzig Minuten ist der Ansturm vorbei. „Ich denke nicht, dass jetzt noch groß was kommt“, weiß Olaf Fledderman­n aus Erfahrung. Martina Sprenger hat es ein blaues Damenrad angetan, ebenfalls für 70 Euro. Sie kauft es für ihren Mann. „Ich habe ein Rad, das habe ich neu gekauft für 450 Euro und da ist schon was kaputt“, sagt die Lobberiche­rin. Auch der fünfjährig­e Lukas ergattert ein Kinderrad für zehn Euro für die Aufenthalt­e bei der Oma.

Ein Geldspiela­utomat oder ein Kanu waren dieses Jahr nicht dabei. „Diese skurrilen Dinge hatten wir aber auch mal“, sagt Fledderman­n und lacht. Am Ende hat die Stadt neun Räder, drei Schmuckstü­cke und ein Handy verkauft. Die restlichen Dinge verschwind­en wieder im Fundus – für den Fundsachen­verkauf im kommenden Jahr.

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FOTOS (3): JANNETTA JANSSEN „Ich brauche für meine Kinder ein Ersatzrad, mit dem sie zur Schule fahren können“, sagt Michaela Mevissen. Sie hat vier Kinder – da hat immer mal wieder ein Fahrrad eine Reparatur nötig.
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„Mein Mann wollte ein Damenrad haben. Das hier ist richtig gut und der Preis auch“, stellt Martina Sprenger aus Lobberich fest.
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„Ich hatte gar kein Rad und freue mich, dass ich eins ergattern konnte“, sagt Wouter aus Mönchengla­dbach. Er musste nach dem Kauf erst mal das Schloss aufbrechen.

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