„Ungeheure Arroganz“
Der neue NRW-Familienminister spricht über die Vorgängerregierung – und darüber, was er auf jeden Fall anders machen wird.
DÜSSELDORF Joachim Stamp, 47, ist der zweite Mann hinter Armin Laschet (CDU). Sein Betätigungsfeld als Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration kennt er aus der Praxis. Als seine beiden Töchter jünger waren, nahm er fast zwei Jahre Elternzeit. Manch einer hatte ihn jedoch auch als Innenminister auf dem Zettel.
sind Sie angesichts Ihrer Erfahrung etwa im Amri-Ausschuss nicht Innenminister geworden?
STAMP Ich übernehme aus dem Innenministerium aus diesem Grund die ausländerrechtliche Abteilung. Die Aufgabe als Familien- und Integrationsminister ist mir ein besonderes Anliegen, etwa die Stärkung der frühkindlichen Bildung in den Kitas, gerade im U3-Bereich.
Was ist Ihre erste Amtshandlung?
STAMP Wir werden ein Programm zur Rettung der Kita-Träger auf den Weg bringen. Sonst ist zu befürchten, dass viele von ihnen 2018/19 aus der Finanzierung der Kitas aussteigen und Einrichtungen schließen müssen.
Auf welche Summe können sich die Träger freuen?
STAMP Es wird ein substanzieller Beitrag sein, mehr möchte ich dazu noch nicht sagen. Wir wollen zudem das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) überarbeiten und die Qualität der Betreuung deutlich verbessern. Zum Beispiel wollen wir die Sprachförderung der Vierjährigen verbindlicher machen. Die ist leider unter der Vorgängerregierung vernachlässigt worden.
Mehr als jedes fünfte Kind in NRW ist arm. Was wollen Sie dagegen tun?
STAMP Rot-Grün ist am eigenen Anspruch „Kein Kind zurücklassen“gescheitert, deshalb werden wir das Programm auch so nicht weiterführen. Es war ein Fehler der Vorgängerregierung, die eigenen Pläne mit zu vielen markigen Überschriften zu versehen. Statt mit ähnlichen Überschriften zu kontern, brauchen wir flächendeckende Strukturen, um Kindern so viele Chancen zu ermöglichen, wie es geht.
Was heißt das konkret?
STAMP Wir werden prüfen, was an frühen Hilfen für armutsgefährdete Kinder nötig und möglich ist und wie auch Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds dafür zur Verfügung stehen. Die bestehenden Förderprogramme werden wir auf ihre Effizienz hin untersuchen.
Im Koalitionsvertrag versprechen Sie auch flexiblere Öffnungszeiten. Wird es künftig Über-Nacht-Kitas geben?
STAMP Da, wo es notwendig ist, etwa weil die Eltern Schichtarbeit leisten, wird es Kitas geben müssen, die über Nacht geöffnet sind. Ich denke beispielsweise an das Einzugsgebiet großer Kliniken. Das heißt aber nicht, dass Eltern ihre Kinder 24 Stunden abgeben können.
Die FDP wollte die Schleierfahndung nicht, also verdachtsunabhängige Kontrollen. Was ist der Unterschied zur „strategischen Fahndung“?
STAMP Wir wollen keine willkürlichen Kontrollen. Wichtig ist uns, dass es immer einen klaren Anlassbezug gibt.
Ein Beispiel?
STAMP Wenn die Polizei Hinweise hat, dass in einem konkreten Bereich mit bestimmten weißen Autos Diebesgut transportiert wird, kann ein jedes solches Auto verdachtsunabhängig durchsucht werden.
Wenn also ein Nordafrikaner unter Verdacht gerät, einen Anschlag geplant zu haben: Kann man dann alle Nordafrikaner kontrollieren?
STAMP Nein. Es gibt eine räumliche und zeitliche Begrenzung. Für uns als Rechtsstaatspartei ist wichtig, dass es keine Willkür gibt und verfassungs- sowie europarechtliche Vorgaben eingehalten werden.
Wie stehen Sie zu Abschiebungen nach Afghanistan?
STAMP Da bin ich zurzeit extrem zurückhaltend. Es gibt derzeit offenbar kein Gebiet, wo dies zu vertreten ist. Wir sollten uns zuerst ein Bild vor Ort machen. Aber es gilt auch: Ein generelles Rückführungsverbot ist das beste Argument für die Schlepper. Die sagen dann: Ihr braucht nur einmal nach Deutschland zu kommen, dann seid ihr durch. Bei allem, was wir hier machen, dürfen wir nicht der Schlepperpropaganda Vorschub leisten.
Die Kita-Rettung kostet Geld, der Wechsel zu G9 auch. Wie bezahlen Sie das alles?
STAMP Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Durch Bürokratieabbau zum Beispiel können wir eine Menge einsparen. In den Koalitionsverhandlungen haben wir unsere politischen Ziele auf Finanzierbarkeit geprüft. Die Schuldenbremse wird auf jeden Fall eingehalten.
Wird der neue Finanzminister auch Steuer-CDs ankaufen?
STAMP Das muss in jedem Einzelfall angeschaut werden. Mafiöse Strukturen werden wir jedenfalls nicht unterstützen.
Was mögen Sie an Armin Laschet?
STAMP Dass er ein humorvoller, pragmatisch denkender und unkomplizierter Mensch ist, der Dinge nicht ideologisch überhöht, aber mit einem klaren Wertekompass ausgestattet ist. Wir werden anders regieren als die bisherige Koalition.
Was hat Sie da gestört?
STAMP Dass auf sachliche Fragen der Opposition von manchen Regierungsmitgliedern mit ungeheurer Arroganz geantwortet wurde. KIRSTEN BIALDIGA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.